Rückblick: Blutrausch – Ein Serienmörder wurde zum Sicherheitsrisiko in der DDR

Nach grausamen Kindermorden in Eberswalde 1969 und 1971 begann in der DDR eine bis dahin beispielslose Fahndungsaktion nach dem Täter. Dabei schaltete sich neben der Volkspolizei auch die Staatssicherheit der DDR in die Ermittlungen ein. Marko Kregel hat den Verlauf der Ereignisse detailliert rekonstruiert und stellte seine Ergebnisse im Deutschen Spionagemuseum vor.

True-Crime à la DDR

Publikationen und Dokumentationen zu Kriminalitätsgeschichte erfreuen sich gegenwärtig großer Beliebtheit. Das wurde auch durch den regen Publikumszuspruch deutlich, als Autor Marko Kregel und Moderator Christian Halbrock am 12. Januar 2023 das Podium im Veranstaltungsraum des Deutschen Spionagemuseums betraten.

Marko Kregel kann bereits auf verschiedenste journalistische Arbeiten zurückbringen, sowohl als Autor wie auch als Regisseur diverser Kurzfilme. Moderator Christian Halbrock führte durch den Abend und ergänzte Kregels Ausführungen durch seine Expertise als langjähriger Mitarbeiter im Stasi-Unterlagen-Archiv.

Auto Marko Kregel (li.) und Moderator Christian Halbrock im Gespräch

Anlass der Veranstaltung war die Publikation von Kregels Buch „Blutrausch: Der Fall Erwin Hagedorn“, welches im Selbstverlag erschien. Kregel erläuterte, dass der Fall vor allem nach der Wende immer wieder mediale Aufmerksamkeit erfahren habe. Das liege insbesondere daran, dass er unter den Kriminalfällen der DDR merklich hervorstach – sowohl im Hinblick auf die Brutalität der Verbrechen als auch auf die Aufklärung.

Eine ausführliche, alle Dokumente und Aspekte umfassende  Aufarbeitung allerdings fehlte bisher. Genau diese Lücke füllt nun Kregels Publikation. Dabei richte sich das Buch keineswegs an ein rein wissenschaftliches Publikum, so Kregel. Gerade im Hinblick auf die derzeitige Popularität von True-Crime-Geschichten stellt es sicherlich für alle Freunde dieses Themenbereichs eine Fundgrube zu einem außergewöhnlichen Fall dar.

Der Fall Erwin Hagedorn

Detailliert stellte Kregel in seinem Vortrag den Ablauf der Ereignisse, beginnend mit dem Verschwinden der jungen Opfer, über den Fund der Leichen sowie die anschließende Fahndung nach dem Täter dar. Dabei räumte er auch mit einigen Mythen zu dem Fall auf.

So ist beispielsweise immer wieder zu lesen, derartige Fälle wurden von der DDR-Regierung totgeschwiegen, um den Anschein eines kriminalitätsfreien Landes zu wahren. Das sei im Fall Hagedorn sicherlich so nicht gewesen. Von Beginn an stellte eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit seitens der Behörden der  ein wichtiges Fahndungsmittel dar.

Buchcover “Blutrausch – Der Fall Erwin Hagedorn”

Als aber viele der standardmäßigen Fahndungsmethoden im Sand verliefen, griffen die Ermittler auf bis dahin in der DDR unkonventionelle Methoden zurück. Dazu gehörte laut Kregel auch das Erstellen eines Täterprofils durch einen Psychiater. Heute gehört Profiling zu den gängigen Ermittlungsmethoden, damals war es in der DDR ein Novum. Tragischerweise brauchte es aber weitere Kindsmorde, bevor sich die Einschätzung des Psychiaters ausreichend konkretisierte, um zur Grundlage der weiteren Fahndunsgarbeit zu werden.

Auch die Staatssicherheit beteiligt sich an Fahndung

Außergewöhnlich waren beim Fall Hagedorn nicht nur die Methoden, sondern auch die eingesetzten Kräfte. Neben der Volkspolizei kam zudem die Hauptabteilung IX (HA IX) des Ministeriums für Staatssicherheit zum Einsatz. Diese ist eine für strafrechtliche Ermittlungen zuständige Einheit. Zuständig war sie vor allem bei Straftaten gegen die staatliche Ordnung, insbesondere bei Fällen des “ungesetzlichen Grenzübertritts” und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten.

Wie Kregel schilderte, führte die Brutalität der Verbrechen zu einer großen Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung. Man fürchtete seitens der Behörden, dass eine erfolglose Fahndung Zweifel an der Effizienz der Sicherheitsorgane schüren könnte. Damit bekam die Angelegenheit eine staatsgefährdende Note. Die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe von Staatssicherheit und Volkspolizei sollte zu einem schnelleren Erfolg führen.

Dabei setzte die Staatssicherheit auch auf ihr ausgedehntes Netzwerk inoffizieller Mitarbeiter (IMs). Diese wurden im örtlichen Umfeld der Taten instruiert, nach den verschwundenen Kindern zu suchen, Hinweise zum Täter zu sammeln und die Stimmungslage in der Stadt zu analysieren. Gerade im Hinblick auf die IM-Berichte zeigt sich der hohe Rechercheaufwand, mit dem Marko Kregel jedem Detail des Falls Hagedorn nachspürte. Dazu sichtete er unter anderem alle betreffenden IM-Berichte zu dem Fall – und es gab über 600 örtliche IMs im Raum Eberswalde.

Der Aufwand hat sich gelohnt: Nach Kregels Publikation dürfte es nur noch wenige Details zu dem Fall Hagedorn geben, die nicht ausführlich recherchiert und aufbereitet worden sind. Weiteres zum Hergang und zur Fahndung sei an dieser Stelle nicht verraten, dazu empfehlen wir die Lektüre des Buches. Nur soviel: Der Mörder wird schließlich auch mit einer unkonventionellen Fahndungsmethode gefasst – der Befragung von Schulkindern…


Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum führt uns in die zurück in die legendären Zwanziger-Jahre. Am 7. Februar 2023 stellt Autor Peter Süß seine neuste Publikation “1923 – Endstation. Alles einsteigen!” vor.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 19.01.2023