Rückblick: Giftgas für Alaska – Der größte Spionageprozess der DDR

Wie kam es dazu, dass sich ein angesehener Wissenschaftler in der DDR dazu entschließt, alles zu riskieren und zum Spion zu werden? Das Schicksal des Arztes Adolf-Henning Frucht wirft bis heute Fragen und Widersprüche auf. Zusammen mit Familienangehören und Experten begab sich das Deutsche Spionagemuseum auf Spurensuche.

Eine außergewöhnliche Spionagekarriere

Das Interesse war groß, die Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 19. September 2021 ausgebucht. Im Gespräch mit zwei Kindern von Adolf-Henning Frucht, Karin Frucht und dem per Videoschalte anwesenden Dr. Ulrich Frucht, sowie dem Giftwaffen-Experten Dr. Walter Katzung analysierte der Historiker Florian Schimikowski die entscheidenden Wendungen im Lebenslauf des Arztes, der schließlich wegen Spionage zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Bei der Frage, welche Motivation Adolf-Henning Frucht dazu veranlasste, Kontakt zur CIA aufzunehmen, herrschte große Einigkeit. Es war das ausgeprägte humanistische Weltbild des Mediziners und das drohende Szenario einer kriegerischen Auseinandersetzung, welches ihn zum Handeln bewog. Wie Ulrich Frucht schilderte, trug auch die Erfahrung des Mauerbaus dazu bei. Diese hatte seinen Vater völlig überrascht und in ihm die Erkenntnis reifen lassen, dass bei allem was denkbar war, auch die Gefahr einer Realisierung bestand – selbst wenn es im Vorfeld noch so unrealistisch erscheinen mochte.

Wie aber kam der Mediziner an relevante Geheiminformationen? Frucht hatte sich im Rahmen seiner Tätigkeit für das von ihm geleitete Institut für Arbeitsphysiologie unter anderem mit Messverfahren für chemische Giftstoffe auseinandergesetzt. Auch das Militär der DDR zeigte Interesse an diesen Forschungen, sodass sich regelmäßige Kontakte und Gespräche mit Militärs ergaben. Dabei erhielt Frucht Informationen, die für ihn nur einen Schluss zuließen, dass der Osten neue Kampfstoffe entwickelt hatte. Diese waren in der Lage, das empfindliche Gleichgewicht der Mächte zu stören.

Saß Frucht Falschinformationen auf?

Als tragisch ist es zu bezeichnen, dass Frucht zwar aus noblen Motiven handelte, die von ihm angenommene Bedrohung aber unter Umständen gar nicht real war. Dieser Überzeugung ist Walter Katzung, der in einem Vortrag darlegte, dass es sich bei den Hinweisen zu einem neuartigen Kampfstoff lediglich um „abtastende Falschinformationen“ gehandelt haben könnte. Auf diese Weise wollte NVA-General Hans-Rudolf Gesewitz, der einen regelmäßigen kollegialen Umgang mit Frucht pflegte, testen, ob der Mediziner die Informationen an die Gegenseite weitergeben würde. Auch Ulrich Frucht stimmte insoweit überein, dass dies ein denkbares Szenario war. Immerhin war sein Vater schon lange als wenig linientreuer DDR-Bürger bekannt.

Die darauffolgende Kontaktaufnahme Fruchts zur CIA führte schließlich 1967 zu seiner Verhaftung durch die Staatssicherheit und mündete in der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft. Eindrucksvoll schilderte Karin Frucht den starken Einschnitt, den dieses Ereignis aus heiterem Himmel für die Familie hatte. Von dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Prozess erhielten sie kaum Informationen. Selbst der Anwalt Wolfgang Vogel hatte erst unmittelbar vor Prozessbeginn im Februar 1968 die Möglichkeit, seinen Mandanten zu sehen und die Akten zu studieren.

Lebenslänglich für Spionage

Auch in der Folge waren die Kontakte zum Vater stark eingeschränkt. Frucht verbrachte die ersten fünf Jahre seiner Gefängnisstrafe in Isolationshaft. Dabei war lediglich ein einmaliger monatlicher Briefwechsel mit der Ehefrau und ein quartalsweiser Besuch derselben erlaubt. Erst im späteren Verlauf der Haftstrafe erhielt auch die Tochter die Möglichkeit, ihren Vater zu sehen. Es sollte bis 1977 dauern, bevor Adolf-Henning Frucht gegen den Chilenen Jorge Montes ausgetauscht wurde. Anschließend siedelte er mit seiner Familie nach West-Berlin über.

Der großen Öffentlichkeit blieb der Fall Frucht lange unbekannt, auch wenn sich der Freigelassene mit der Unterstützung von Journalisten mehrmals um die Aufarbeitung bemühte. Wie Karin Frucht schilderte, begann diese Beschäftigung bereits unmittelbar nach der Freilassung. Für Frucht selbst ging es dabei nicht um Selbstdarstellung. Vielmehr sollte die bewusste Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der harten Haftzeit dazu dienen, persönlich mit diesem Kapitel abschließen zu können. Die vielfältigen Einblicke der Beteiligten haben an diesem Abend im Deutschen Spionagemuseum dazu beigetragen, den Fall Frucht im Detail darzulegen. Einige Aspekte aber werden sich wohl nie endgültig klären lassen.


Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 11. November 2021 führt uns in die Gegenwart. Ein renommierter Geheimdienst-Experte und ein Dissident werde Einblicke in die aktuelle Welt der Geheimdienste geben.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 21.10.2021