Zäsur im Spionagekrieg: Am 13. August 1961 wurde die Mauer gebaut

Die Situation in der ersten Jahreshälfte 1961 wurde immer dramatischer: Die Wirtschaft der DDR steckte in einer schweren Krise und täglich entschieden sich mehr Menschen, nach West-Deutschland zu flüchten. Im Juli 1961 allein betrug die Zahl der in den westdeutschen Flüchtlingsunterkünften gemeldeten Personen 30.415.

Eine so gewaltige Abwanderung an Personal, viele davon ausgebildete Fachkräfte, vergrößerte die wirtschaftliche Krise der DDR zusätzlich. Die SED Führung stand unter hohem Druck, die Situation in den Griff zu bekommen. Auch westlichen Beobachtern war klar: Nur mit drastischen Maßnahmen war dies zu bewerkstelligen.

Die komplette Abriegelung der DDR durch den Bau der Mauer am 13. August 1961 überraschte dann trotzdem Bundesregierung und Westalliierte. Haben die Nachrichtendienste die Anzeichen für die großangelegte Operation verschlafen? Und wie welchen Einfluss hatte der Mauerbau die Arbeit der östlichen und westlichen Geheimdienste?

Ein gut gehütetes Geheimnis: die BND-Akten zum Mauerbau

Bis vor wenigen Jahren war es die gängige Ansicht, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe die Vorzeichen, die den Mauerbau ankündigten, nicht wahrgenommen und so die Regierung in Bonn nicht rechtzeitig gewarnt. Erst 2011 gab der BND rund 5000 Blatt Akten aus seinen Archiven zu dem Thema frei, die eine Neueinschätzung ermöglichten.

Daraus ergibt sich, dass der BND zumindest teilweise vor einer Sperrung der Grenzen gewarnt hatte. Viele der gesammelten Erkenntnisse legten schon Monate vor dem August 1961 nahe, dass die SED-Führung an Maßnahmen zur Isolierung des Westsektors arbeitete. Allerdings gelang es nicht, einen genauen Zeitpunkt zu benennen.

Ein Großteil der Auswerter des BND gingen davon aus, dass derartige Maßnahmen erst nach einer Konsolidierung zwischen Moskau und Washington zu erwarten seien, um die angespannte politische Situation nicht zu verschärfen.

Die frisch errichtete Mauer am Brandeburger Tor im Sommer 1961
[Bundesarchiv, Bild 145-P061246 / o.Ang. / CC-BY-SA 3.0]

Die wahrgenommenen Warnzeichen wurden zwar an höheren Stellen der politischen Entscheidungsträger weitergegeben, aber dort nicht ernst genug genommen. Ganz unschuldig ist der BND an der Misere wohl nicht, denn die vorgelegten Erkenntnisse widersprachen sich häufig. Während wenige Wochen vor dem Mauerbau einige Informanten durchaus konkrete Hinweise zu den bevorstehenden Maßnahmen gaben, verkündeten andere Meldungen Entwarnung.

Wie sich später herausstellte, resultierte diese unklare Informationslage auch aus vom KGB gezielt lancierten Falschmeldungen. Der BND erkannte die betreffenden vom KGB instruierten Quellen nicht als solche und schätzte ihren Informationsgehalt als wertvoll ein. Völlig verschlafen hat der BND die Entwicklung also nicht. Er hat es aber versäumt, den genauen Zeitpunkt und die Ernsthaftigkeit der Lage klar zu definieren.

Wer wusste von der „Aktion Rose“?

Am 20. Juli 1961 hatte der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow nach langen Ersuchen durch DDR-Staatschef Walter Ulbricht die Entscheidung getroffen, dass die Sektorengrenzen in Berlin geschlossen werden. Unter höchster Geheimhaltung ließ Walter Ulbricht die Absperrungen vorbereiten. Die als „Aktion Rose“ getarnte Operation blieb bis unmittelbar zur Ausführung selbst gegenüber hohen Mitgliedern der DDR-Regierung und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geheim.

Noch am 11. August, nur zwei Tage vor dem Mauerbau, sprach Mielke in einer Dienstbesprechung der MfS-Leitungsebene lediglich von „entscheidenden Maßnahmen“, die in den nächsten Tagen beschlossen werden könnten. Erst am Vorabend des Mauerbaus legte Ulbricht den Mitgliedern des DDR-Ministerrats einen vorgefertigten Beschluss zur Grenzschließung vor. Das war nur wenige Stunde, bevor die Operation begann.

Werner Großmann, stellvertretender Leiter der MfS-Auslandsaufklärung HV A, berichtet im Zeitzeugeninterview im Deutschen Spionagemuseum, dass er von Bau der Mauer ebenso überrascht wurde wie alle anderen Bürger auch. Sein Chef, Markus Wolf, habe ebenfalls nichts gewusst und weilte sogar gerade im Urlaub. Erste Informationen erhielt Großmann demnach erst in der Nacht zum 13. August, als er in die MfS-Dienststelle gerufen wurde.

Auswirkung des Mauerbaus auf die Spionage

Da man nicht die Möglichkeit hatte, sich auf die neue Situation vorzubereiten, beschreibt Großmann den Mauerbau als schweren Eingriff für die Spionagearbeit der HV A in West-Berlin und der Bundesrepublik. Das galt vor allem im Hinblick auf das Verbindungswesen. Bis dahin war es bei offener Grenze kein Problem, Quellen anzuwerben und zu treffen sowie Informationen von West nach Ost zu transportieren. Nun mussten neue Wege etabliert werden.

Das bedeutete unter anderem eine deutliche sorgsamere und detailliertere Ausarbeitung der Legenden, also der gefälschten Identitäten der Agenten, um unauffällige Begründungen für deren Reisetätigkeit zu liefern. Denn nach dem Mauerbau war sich der BND bewusst, dass kaum DDR-Bürger ausreisen durften und beobachtete die wenigen Grenzgänger sehr kritisch. Aus diesem Grund modifizierte die HV A die Reisewege der Agenten. Nur noch wenige liefen laut Großmann noch über West-Berlin. Stattdessen wurden Routen über andere Länder wie Österreich, Schweiz, Finnland oder Schweden genutzt.

Beim Mauerbau selbst trat das MfS zumeist nur beobachtend in Aktion. Es überwachte die Maßnahmen und berichtete über die Reaktionen der Bevölkerung. Hauptziel war es laut Mielke „jegliche Feindtätigkeit zu verhindern“. Falls Maßnahmen von den Polizei- oder Militärtruppen nicht wie vorgesehene ausgeführt wurden, sprang das MfS unterstützend ein.

Dies geschah zum Beispiel teilweise bei der Unterbrechung der grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehrsmittel. Auch die HV A leistete trotz der von Großmann beschrieben späten Benachrichtigung ihren Anteil. Sie lieferte so gut es ging Berichte aus dem Westen zu den Reaktionen der Amerikaner und Briten, der westlichen Politik und der dortigen bevölkerung.

Neuausrichtung der westlichen Geheimdienstarbeit

Auch für die westlichen Geheimdienste stellte der Mauerbau einen massiven Eingriff in ihre Arbeitsweise dar. Der Geheimdienst-Historiker Wolfgang Krieger spricht im Experteninterview im Deutschen Spionagemuseum von einer „Zäsur im Spionagekrieg“. Insbesondere hinderte die abgeriegelte Grenze die westlichen Geheimdienste daran, wie zuvor Quellen im Osten zu kontaktieren und zu führen.

Die Verluste unter den V-Leuten nach dem Mauerbau konnte durch westliche Reise- und Transitspione nicht dauerhaft kompensiert werden. Tatsächlich ist es westlichen Diensten danach nie gelungen, in oberste Chefetagen der politischen Führung der DDR einzudringen.

Abgesperrte Straßenzüge in Brlin um August 1961
[Bundesarchiv, Bild 173-1288 / CC-BY-SA 3.0]

Während das MfS wie beschrieben weiterhin vor allem auf menschliche Agenten zur Informationssammlung setzte, gingen die westlichen Geheimdienste dazu über, die technische Spionage auszubauen. Die Ausspähung des Gegners durch Horchposten wie die berühmte „Field Station Berlin“ auf dem Berliner Teufelsberg gewann in den folgenden Jahren immer mehr an Bedeutung. Auf diese Weise wurde versucht, den Wegfall menschlicher Quellen zu kompensieren.

Damit begann eine Entwicklung, die bis heute anhält: Auch wenn sich der menschliche Agent niemals ganz ersetzen lassen wird, hat sich die technische Spionage zum domminieren Arbeitsmittel moderner Geheimdienst-Arbeit entwickelt.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 13.08.2020