Geheimnisschutz durch Letterlocking: Wenn der Briefumschlag zum Sicherheitsschloss wird

Schon seit Jahrhunderten versuchen Briefeschreiber mit Geheimtinten und Kryptografie den Inhalt von Briefen vor den Augen Unbefugter geheim zu halten. Diese Tatsache ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist dagegen, dass bis ins 19. Jahrhundert oft auch der Briefumschlag als Schutz des schriftlichen Inhalts eingesetzt wurde. Die Kunst des Letterlocking machte aus einem Umschlag ein Sicherheitsschloss.

Falttechnik zum Schutz vor Spionage

Das Wort Letterlocking ist deutlich neuer als die damit umschriebene Technik. Es entstand aus einer Kombination der englischen Wörter Letter (dt. Brief) und lock (dt. Schloss), es handelt sich also um Briefschlösser. Die Technik kam allerdings nicht bei den heute üblichen Briefumschlägen zum Einsatz, welche sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierten.

Altes Briefformat ohne moderne Briefumschläge

Bis dahin war es üblich, das beschriebene Briefpapier selbst so zu falten, dass es den Inhalt verdeckte und gleichzeitig als Umschlag diente. Einen gesonderten Umschlag, der nur zum Schutz des Briefpapiers diente, gab es oft nicht – auch weil der Rohstoff damals viel zu teuer war. Beim Letterlocking wird dieses Falten des Briefpapiers perfektioniert und durch Schneid-, Fädel- und Nähtechniken ergänzt.

Die daraus entstehenden Kombinationen aus bis zu 30 Einzelschritten sind so kompliziert, dass es kaum möglich ist, den Brief ohne Kenntniss der jeweiligen Falttechnik zu öffnen. Versucht man es mit Gewalt, zerstört man damit auch den Brief. Im Grunde wird der Brief so zu einem Zerstörcontainer, ein schützendes Behältnis, dass bei unsachgemäßer Öffnung den wertvollen Inhalt vernichtet.

Moderne Technik gegen alte Briefschlösser

Das Öffnen der raffinierten Briefschlösser erfordert viel Feingefühl, Geduld und Erfahrung, ähnlich wie bei der klassischen Methode des Schlossknackens, dem Lockpicking. Jana Dambrogio vom Massachusetts Institute of Technology gehört seit Jahrzehnten zu den führenden Expertinnen, wenn es darum geht, alten Briefschlössern ihren Inhalt zu entlocken und die Technik dahinter zu rekonstruieren. Dabei setzt sie neben ihrer Erfahrung auch auf moderne Technik wie Tomografie.

Video-Anleitung zum Spiral-Lock [YouTube-Kanal “Letterlocking Videos”]

Als besonders komplizertes Beispiel einer Letterlocking-Technik gilt das unter anderem von der schottischen Königin Maria Stuart (1542-1587) verwendete Verfahren des Spiral lock. Dabei wurde ein von einer Seite abgetrenntes, aber an einem Ende verbleibendes Band mehrmals durch kurze Schlitze in den gefalteten Seiten des Briefes hin und her gewebt. Anschließend wurde das Papier angefeuchtet, so dass es aufquoll und die Teile zusammenhielt. Das lose Ende des Bandes klebte man dann fest und versiegelte es mit Wachs.

Neue Begeisterung für eine alte Technik

Dambrogios Arbeit hat maßgeblich dazu beigetragen, der fast vergessenen Kunst des Letterlockings zu neuer Bekanntheit zu verhelfen. Dabei war der Einsatz der Methode in früheren Jahrhunderten keine Seltenheit. Die sogenannte Brienne Collection umfasst eine Sammlung von 2.600 Briefen aus dem 17. Jahrhundert, die ein niederländischer Postangestellter in einer Kiste gesammelt hatte. Zahlreiche davon wiesen teils komplexe Briefschlösser auf.

Die neu erwachte Begeisterung für die Technik zeigt sich auch im Internet, wo man auf dem YouTube-Kanal Letterlocking Videos zahlreiche Faltanleitungen findet. Auch die Seite letterlocking.org widmet sich der Geschichte und Technik des Letterlocking. Es würde kaum überraschen, wenn bald die ersten Letterpicking-Wettbewerbe stattfinden, ähnlich wie es schon lange Lockpicking-Meisterschaften gibt.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 03.03.2022