Rückblick: GSG 9 – ein deutscher Mythos wird 50

Als am 26. September 1972 die GSG 9 gegründet wurde, stand Deutschland unter Schock. Die in einer Katastrophe endende Geiselnahme palästinensischer Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München hatte deutliche Lücken in der Struktur deutscher Sicherheitsdienste aufgezeigt. Die GSG 9 füllte diese Lücken und entwickelte sich in den folgenden Jahren zum Erfolgsmodell.

GSG-9-Experten im Deutschen Spionagemuseum

Anlass für die Veranstaltung war die Publikation GSG 9 – Ein deutscher Mythos, der erste umfassende Überblick zur Geschichte der GSG 9. Autor Martin Herzog stand an diesem Abend Moderator Helmut Müller-Enbergs Rede und Antwort. Ergänzt wurden die Erläuterung des Autors durch Jérôme Fuchs, den derzeitigen Kommandeur der GSG 9, den GSG 9-Veteran Dieter Fox und den Terror-Experten Rolf Tophoven.

Martin Herzog schilderte eingangs, wie stark die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 und ihr katastrophales Ende einen Wendepunkt im Leben des anwesenden Ulrich Wegener darstellte. Dem damaligen militärischen Adjutanten von Innenminister Hans-Dietrich Genscher war klar: So etwas durfte nie wieder passieren. Die Idee zur Bildung einer Spezialeinheit war geboren.

Rolf Tophoven, Dieter Fox, Martin Herzog, Helmut Müller-Enbergs und Jérôme Fuchs (v.l.n.r.)

Dieter Fox hat damals beim Aufbau der GSG 9 eng mit Wegener zusammengearbeitet. Er ist sich sicher, dass eine GSG 9 die Situation in München anders gelöst hätte. Allerdings sei es sehr schwer abschließend zu sagen, wie diese Lösung ausgesehen hätte. Mit dem damaligen Stand an Ausrüstung, Wissen und Ausbildung waren taktische Fehler, wie sie passiert sind, vorprogrammiert, so Fox. Man könne also schlecht die damaligen Kräfte kritisieren, der gesamte strukturelle Hintergrund war ein völlig anderer.

GSG 9-Kommandeur Jérôme Fuchs ergänzte, dass man heute einen solchen Einsatz vor allem deutlich vielschichtiger angehen würde. Unter anderem hätte man den Umgang mit den Medien in die taktische Planung mit einbezogen. Grundsätzlich pflichtete er Fox bei, dass das heute alles leicht gesagt sei, damals aber habe es die heutigen Erfahrungswerte nicht gegeben.

Aufbau einer Spezialeinheit kontra deutsche Beamtenkultur

Laut Dieter Fox sei es vor allem der Durchsetzungskraft Wegeners zu verdanken, dass der Aufbau der GSG 9 nicht am deutschen Verwaltungsbeamtentum scheiterte. Vor allem die ersten fünf Jahre waren in dieser Hinsicht schwierig, als es darum ging, für deutsche Verhältnisse unkonventionell schnell eine Spezialeinheit aufzustellen, zu trainieren und die notwendige Ausrüstung zu beschaffen.

Für die deutsche Verwaltung seien die zahlreichen Eigenentwicklungen und Improvisationen der frühen GSG 9 oft kaum nachvollziehbar gewesen. Es habe viel Überzeugungsarbeit gebraucht und Fox betonte, dass es Wegener zu verdanken sei, seiner Mannschaft die Freiheit zu ermöglichen, alles auszuprobieren und eigene Wege und Strategien zu entwickeln.

Die harte Arbeit habe sich gelohnt, wie Martin Herzog deutlich macht, als er auf den Mythos der GSG 9 zu sprechen kam: die erfolgreiche Beendigung der Entführung des Flugzeugs „Landshut“ in Mogadischu im Oktober 1977. Es war der erste große Einsatz für die GSG 9. Innerhalb von nur einer Minute gelang der jungen Spezialeinheit, alle 86 Geiseln ohne eigene Verluste zu befreien. Dieter Fox war damals mit dabei und schilderte im Detail, wie die legendäre Befreiungsaktion ablief.

Risse im Mythos der GSG 9

Allerdings liefen nicht alle Aktionen der GSG 9 so beispielhaft ab wie jene in Mogadischu. 1993 misslang im Bahnhof von Bad Kleinen die Verhaftung eines RAF-Terroristen. Neben einem Terroristen wurde auch ein GSG 9-Beamter im Feuergefecht tödlich verletzt. Als besonders dramatisch erwies sich die nachfolgende mediale Berichterstattung und die starke Kritik am Vorgehen der GSG 9.

Es kamen Gerüchte um eine angebliche Exekution des wehrlosen Terroristen auf. Die GSG 9 stand unter dem Generalverdacht, eine Killergruppe zu sein. Autor Martin Herzog stellt klar, dass alle Abschlussberichte und Justizurteile zu dem Schluss kamen, dass es sich nicht um einen Mord seitens der GSG 9, sondern um den Suizid des Terroristen handelte.

Dennoch: Nach Bad Kleinen war die physische Existenz des Verbands gefährdet. Rolf Tophoven erklärte dazu, dass jede Spezialeinheit Fehlschläge hinnehmen müsse. Der GSG 9 sei es seiner Einschätzung nach gelungen, das Geschehene taktisch und psychologisch intern aufzuarbeiten. Auf diese Weise habe die Spezialeinheit die Folgen der Situation aus eigener Kraft überwunden. Aus der Fähigkeit, selbstkritisch aus Fehlern zu lernen, resultiere für den Terror-Experten auch die Stärke einer solchen Organisation.

Zudem stellte Tophoven klar, dass ein eklatanter Unterschied zu vielen anderen Spezialeinheiten darin bestehe, dass sie nicht vom Militär komme, sondern eine polizeiliche Einheit sei. GSG 9-Beamte sollen daher Situationen lösen, Menschenleben retten und nicht primär töten. Sie reagieren lediglich auf bestimmte Situationen und agieren nicht, wie es militärische Spezialeinheiten machen.

Spezialeinheiten im 21. Jahrhundert

Die Arbeit von Spezialeinheiten hat sich in den vergangenen 50 Jahren in vielerlei Hinsicht verändert. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die internationale Vernetzung. 1972 gab es keinen Kontakt mit anderen Spezialeinheiten, daher wurde bei der Geiselnahme in München eine bereitstehende israelische Spezialeinheit nicht angefordert. Heute dagegen gehöre die israelische JAMAM zu den engsten internationalen Partnern, wie Jérôme Fuchs berichtete. Regelmäßig komme es zum gemeinsamen Training und Austausch.

Auch mit den europäischen Partnern trainiere die GSG 9 regelmäßig, die 38 europäischen Polizei-Spezialeinheiten sind im ATLAS-Verbund eng vernetzt. Vor wenigen  Jahren sei es sogar zu einer grenzüberschreitenden Aktion mehrerer Spezialeinheiten gekommen. Den Anlass habe eine Anfrage zur Unterstützung seitens der belgischen Spezialeinheit CGSU gegeben. Bei dem Einsatz waren auch niederländische und luxemburgische Kräfte eingebunden.

Alle Diskussionsteilnehmer waren sich am Ende des Abends einig, dass die GSG 9 gegenwärtig mit ihrem Erfahrungsschatz und Ausbildungsstand nicht ersetzbar sei. Sie agiere keineswegs in Konkurrenz zu anderen polizeilichen Spezialeinheiten, sondern in Ergänzung mit diesen. Aufgrund der technischen Ausrüstung, der personellen Ausbildung sowie ihrer Flexibilität ist die GSG 9 bei bedrohlichen Situationen die letzte Instanz, die zum Einsatz kommt. Das mache sie auch nach heutigen Maßstäben im deutschen Rechtsstaat unersetzbar.


In der nächsten Veranstaltung des Deutschen Spionagemuseums am 6. Oktober 2022 gibt der ehemalige BND-Agent Gerhard Conrad exklusive Einblicke in seine langjährige Tätigkeit für den deutschen Auslandsnachrichtendienst.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 04.10.2022