Der zweite Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke war der größte im Kalten Krieg. Zum ersten Mal gab es Fernsehbilder von der Aktion, bei der 25 Westagenten und vier Ostagenten frei kamen. Im Deutschen Spionagemuseum erinnern ein vier Meter langes Diorama mit detailgetreuer Darstellung sowie exklusive Experten- und Zeitzeugeninterviews an das Ereignis.
Ausgangspunkt der Verhandlungen um einen Agentenaustausch war die Verurteilung des jüdisch-russischen Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten Anatoli Schtscharanski. 1978 wurde er unter dem Vorwurf des Hochverrats und der Spionage für die USA zu 13 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. International bemühten sich jüdische Organisationen und Menschenrechtsaktivisten sowie der Staat Israel und die USA um eine Freilassung Schtscharanskis.
Früh kam dabei auch der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel ins Spiel. Dieser hatte sich bereits in ähnlichen Situationen, insbesondere beim Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke 1962, als Unterhändler bewährt. Allerdings stockten die Verhandlungen wegen der grundsätzlichen Frage, wie Schtscharanski einzuordnen sei: Die UdSSR sah ihn als Spion, während sich die USA weigerten, diesen Status anerkennen und ihn als politischen Häftling bewerteten.
Da kein Konsens zu erreichen war, schlug Vogel schließlich Alternativen vor. Mittlerweile hatte er seitens der DDR-Regierung den Auftrag erhalten, sich auch um die Freilassung zweier DDR-Bürger zu bemühen, die wegen Spionage in den USA in Haft saßen. Ein Agentenaustausch wurde also auch ohne Schtscharanski ein erklärtes Ziel.
Bei den DDR-Bürgern handelte es sich um den Physiker Alfred Zehe, der während einer Gastprofessur in Mexiko geheime Unterlagen der US-Marine ausspioniert hatte, und Alice Michelson, eine KGB-Kurierin. Zusätzlich sollten Marian Zacharski, ein inhaftierter Offizier des polnischen Geheimdienstes, und Penju Kostadinov, der versucht hatte, an vertrauliche US-Regierungsdokumente zu gelangen, befreit werden.
Das Problem: Es gab keine adäquaten Top-Westagenten, die in Gefängnissen der DDR oder der UdSSR einsaßen. Vogel schlug daher eine größere Menge an Personen vor, die wegen vergleichsweise harmloser Spionageaktivitäten für amerikanische Geheimdienste verurteilt worden waren. Es handelte sich nicht um Top-Quellen, sondern eher um Agenten, die kleinteilige Spionagedetails sammelten, z.B. welche Art von Militärfahrzeugen regelmäßig eine bestimmte Strecke fuhren etc.
Auf den ersten Blick scheinen diese Informationen keine große Relevanz zu besitzen, aber wenn man derartige Informationen aus zahlreichen Quellen bezieht, können Geheimdienste diese zu einem umfangreichen Lagebild kombinieren. Als Kavaliersdelikte wurden solche Spionageaktivitäten in der DDR keinesfalls gesehen, die Inhaftierten verbüßten mehrjährige Haftstrafen. Am Ende einigte man sich auf den Austausch von 25 dieser Westagenten gegen die genannten vier Ost-Spione – Schtscharanski war nicht dabei.
Der Austausch selbst fand mittags am 11. Juni 1985 statt. Zuerst erschien auf der Potsdamer Seite der Glienicker Brücke der Reisebus mit den 25 Westagenten. Rechtsanwalt Vogel sowie die US-Diplomaten John Kornblum und Richard Burt betraten den Bus und eröffneten den Passagieren, dass sie sich nun entscheiden müssten, die DDR für immer zu verlassen oder zu bleiben. Nur zwei der Agenten entschieden sich, in der DDR zu bleiben.
Anschließend verließen 23 Westagenten den Bus und schritten zu Fuß über die Brücke. Auf der Westseite warteten die vier Ostspione, die mit amerikanischen Chevrolets zur Brücke gefahren worden waren. Sie überquerten die Brücke erst, nachdem die Westagenten auf der Westseite einen Reisebus gestiegen waren. Nach weniger als 30 Minuten war der Austausch beendet.
In den Abendnachrichten konnte die Weltöffentlichkeit im Fernsehen zum ersten Mal Bewegtbilder eines Agentenaustauschs bestaunen. Neben einem Kamerateam des US-Militärs war auch die ARD-Journalistin Renate Bütow mit ihrem Team vor Ort. Sie hatte wohl einen Tipp erhalten, offiziell war der Austausch Geheimsache.
Der richtige Medienrummel stand der Glienicker Brücke allerdings noch bevor: Am 11. Februar 1986 kam dort auch Schtscharanski im Rahmen eines weiteren Agentenaustauschs frei. Diesmal waren Kamerateams aus aller Welt anwesend. Spätestens jetzt hatte sich die Glienicker Brücke international als Bridge of Spies etabliert.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 11.06.2025