Geschichte der Kryptologie 3: Maschinelle Kryptologie

Jahrtausendelang chiffrierten Menschen Geheimbotschaften per Hand, doch auch mit diversen Hilfsmitteln erwiesen sich die meisten dieser Verfahren spätestens im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts als unsicher. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen daher Techniker damit, eine neue Phase der Kryptologie einzuläuten, indem sie Chiffriermaschinen erfanden. Wir beschäftigen uns in diesem Teil der Kryptologie-Reihe ausschnittsweise mit deren berühmtesten Vertreten: Den Rotor-Chiffriermaschinen.

Viele Erfinder, eine Idee: die Rotor-Chiffriermaschine

Beim Stichwort Rotor-Chiffriermaschine denken viele sicherlich direkt an die legendäre Chiffriermaschine Enigma, mit der die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ihre Nachrichten verschlüsselte. Allerdings war die Enigma nur eine vor gleich mehreren Entwicklungen verschiedener Rotor-Chiffriermaschinen, die im frühen 20. Jahrhundert unabhängig voneinander in relativ kurzer Zeit erfolgten.

Zeichnung der von Hebern 1917 entwickelten und 1921 zum Patent angemeldeten Chiffriermaschine

Als Erfinder der ersten Rotor-Chiffriermaschine gelten die niederländischen Marineoffiziere Theo van Hengel und Rudolf Spengler. Ohne von deren Erfindung zu wissen, entwickelte 1917 der Amerikaner Edward Hebern eine eigene Electric Code machine. 1918 folgte der deutsche Erfinder Arthur Scherbius mit einem Prototyp seiner Enigma-Maschine und 1919 der Niederländer Hugo Koch und der Schwede Arvid Damm mit weiteren Rotor-Chiffriermaschinen.

Wie funktionieren Rotor-Chiffriermaschinen?

Das grundsätzliche Prinzip der Rotor-Chiffriermaschinen ist immer gleich: Im Inneren befinden sich mit elektrischen Kontakten versehene Walzen. Da diese bei Benutzung ihre Stellung zueinander durch Rotation regelmäßig verändern, werden sie als Rotoren bezeichnet. Durch Eingabe eines Buchstabens in die Tastatur der Maschine fließt elektrischer Strom durch die Rotoren und zeigt am Ende den chiffrierten Buchstaben an. Bei vielen Chiffriermaschinen geschieht dies, indem eine Glühbirne auf einem Buchstabenfeld aufleuchtet, bei anderen, indem der Buchstabe ausgedruckt wird.

Geöffnete Enigma mit sichtbarem Walzensatz und Glühbirnen zur Anzeige der chiffrierten Buchstaben [Sammlung Deutsches Spionagemuseum]

Da sich die Rotoren nach dem Prinzip eines mechanischen Kilometerzählers mit jedem verschlüsselten Buchstaben weiterdrehen, ändert sich damit auch der Weg, den der Strom durch die Maschine nimmt. Es kommt immer eine neue Verschlüsselung zum Einsatz. Die kryptografische Stärke einer Rotor-Chiffriermaschine erhöht sich, je mehr Rotoren zum Einsatz kommen.

Da viele dieser Chiffriergeräte aber portabel bleiben sollten, ergaben sich hier Grenzen beim Einsatz übermäßig vieler Rotoren. Ein Ausweg war, dass weniger Rotoren in der Maschine selbst saßen, diese aber aus einem größtmöglichen Satz auszuwählen. Daraus resultierten zahlreiche Möglichkeiten, die Rotoren anzuordnen und die Gefahr sich wiederholender Chiffriervorgänge wurde verringert.

Chiffriermaschinen im Zweiten Weltkrieg

Die große Bewährungsprobe der maschinellen Chiffriertechnik erfolgte im Zweiten Weltkrieg. Am berühmtesten ist die spektakuläre Geschichte der Enigma und ihrer Entschlüsselung durch die britischen Codeknacker. Diese außergewöhnliche Geheimdienst-Operation hat den Krieg um mehrere Jahre verkürzt hat. Aber die Enigma war natürlich nicht die einzige Chiffriermaschine, die im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kam. Den britischen Codeknackern gelang es zudem, die Lorenz-Schlüsselmaschine zu knacken, eine Rotor-Chiffriermaschine, welche die Wehrmacht zur verschlüsselten Kommunikation über Fernschreibverbindungen einsetzte.

Ähnliche Erfolge blieben den deutschen Codeknackern verwehrt, es gelang nicht, die wichtigen alliierten Chiffriermaschinen zu knacken. Die USA setzten auf die durch ihre 15 Rotoren kryptografisch der Enigma überlegenen Sigaba. Die britische Chiffriermaschine Typex wies zwar nur fünf Rotoren auf, die allerdings aus einem Satz von bis zu 240 Rotoren ausgewählt wurden. Um die Kommunikation der beiden verbündeten Länder untereinander zu erleichtern, wurden diese beiden Chiffriermaschinen mit Adaptern modifiziert, damit sie gegeneinander kompatibel waren und sich so als Combined Cipher Machine einsetzen ließen.

Gänzlich erfolglos waren die deutschen Codeknacker allerdings nicht. Als leichte und portable Chiffriermaschine nutzen amerikanische Soldaten im Feld die M-209. Diese Entwicklung des Schweden Boris Hagelin, des späteren Gründers der Cryptos AG, war deutlich leichter sowie kompakter als die Enigma und verfügte über sechs Rotoren. Ab 1943 allerdings gelang es deutschen Codeknackern, den Code der Maschinen in vier Stunden zu knacken. Da die M-209 aber meist nur für den Austausch akuter taktischer Informationen vorgesehen war, spielten die durch die Deutschen ausspionierten Inhalte nach dem Entschlüsseln oft keine Rolle mehr.

Chiffriermaschinen im Kalten Krieg

Auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg stellten Rotor-Chiffriermaschinen das Nonplusultra der Chiffriertechnik dar. Eine besonders bekannte Rotor-Chiffriermaschine aus dem Kalten Krieg war die seit den 1950er-Jahren genutzte sowjetische M-125, die vor allem unter dem Codenamen Fialka bekannt wurde. Oft wurde sie als russische Enigma bezeichnet, obwohl größere Ähnlichkeiten zur amerikanischen Sigiba bestehen. Die mit zehn Rotoren ausgestattete Fialka wurde zur vielleicht populärsten Chiffriermaschine des gesamten Warschauer Paktes. In weiterentwickelter Form kam die Fialka bis in die 1990er-Jahr zum Einsatz.

Eine ebenfalls sehr lange Nutzungsdauer erfuhr auch die CX-52, ebenfalls eine Erfindung von Boris Hagelin und Nachfolger der M-209. Die 1952 entwickelte CX-52 gilt als erfolgreichstes Produkt der zahlreichen Chiffriermaschinen des Unternehmens. Sie kam in 50 Ländern und zum Teil bis in die 1980/90er-Jahre zum Einsatz. Die deutsche Bundeswehr nutzte ab den 1950er-Jahren mit der H-54 eine lizenzierte Reproduktion dieser Chiffriermaschine.

Wie auch bei der M-209 handelt sich um eine besondere Art von Rotor-Chiffriermaschinen, den sogenannten Pinwheel-Maschinen. Hier kam keine Elektrizität zum Einsatz, sondern ein komplexes System von beweglichen Stiften, welche die Bewegung der Rotoren steuerten. Die dadurch bedingte unregelmäßige Bewegung der sechs Rotoren der CX-52 sorgte für eine sehr sichere Chiffrierung.

Erst ab den 1970er-Jahren wurden Rotor-Chiffriermaschinen langsam von der aufkommenden Computer-Technik abgelöst, welche eine neue Epoche der Kryptologie einläutete.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 07.07.2021