Operation Rubikon – Die wichtigste Spionageoperation der Geschichte? Wie der BND und die CIA die ganze Welt belauschten

Sein ganzes Leben widmete Boris Hagelin der Kunst der Verschlüsselung (Kryptografie). Seine bewegte Biografie brachte ihn von seinem Geburtsort in den Weiten des Russischen Kaiserreichs über Schweden, Norwegen und den USA schließlich in die Schweiz. Dort gründete er 1952 die Crypto AG, die innerhalb kürzester Zeit zum weltweiten Marktführer für Verschlüsselungsmaschinen aufsteigen sollte.

Auch das Deutsche Spionagemuseum zeigt einige seiner frühen Chiffriermaschinen, wie die Hagelin C-446, die Hagelin CX-52/B-52 und die Hagelin CD-57, in seiner Dauerausstellung. Fast alle Staaten kauften in der neutralen Schweiz ihre Chiffriermaschinen, um den geheimen Kommunikationsverkehr zwischen Ministerien und Behörden, Regierung und Botschaften sicher zu machen. Sie alle sollten ausgetrickst werden.

Laut CIA der Geheimdienst-Coup des Jahrhunderts

Denn 1970 bekam die Crypto AG einen neuen Eigentümer, genau genommen sogar zwei: den westdeutschen Auslandsnachrichtendienst BND und die amerikanische CIA. Über eine Scheinfirma in Lichtenstein erwarben beide jeweils 50 % der Crypto AG. Fortan steuerten sie die Geschicke der Firma, machten allein im Jahr 1975 stattliche 51 Millionen Schweizer Franken Profit, den sie anschließend in andere Operationen investierten.

Technische Hintertüren in den Verschlüsselungsmechanismen der Crypto AG-Maschinen erlaubten es den Geheimdiensten, fortan in die Kommunikation der Nutzer „einbrechen“ zu können. Die CIA nannte es später ganz unbescheiden „den Geheimdienst-Coup des Jahrhunderts“. Der BND-Deckname der Operation war „Rubikon“, die CIA nannte sie „Minerva“, über Jahrzehnte ein streng gehütetes Geheimnis.

Heute enthüllten internationale Recherchen des ZDF, der Washington Post und dem Schweizer Rundfunk die Operation „Rubikon“. Grundlage der Recherchen waren interne Berichte der historischen Dienste von CIA und BND aus den Jahren 2004 und 2008. Zahlreiche Beteiligte äußerten sich jetzt erstmals vor der Kamera. Dabei kam auch heraus: Nicht einmal die rund 200 Mitarbeiter der Crypto AG wussten, dass sie für Geheimdienste arbeiteten, nur wenige Führungskräfte waren eingeweiht.

Weltweite Abhöraktion gegen 68 Länder

In den 1980er-Jahren war die Crypto AG für rund 40 % aller Verschlüsselungsmaschinen auf der Welt verantwortlich. In bis zu 120 Länder exportierten die Schweizer ihre Geräte. Mindestens 68 wurden von CIA und BND überwacht, darunter vor allem Staaten in Südamerika, Afrika, der arabischen Welt, aber auch der Vatikan. 1989 zum Beispiel, als die USA in Panama militärisch intervenieren, wissen sie dank der Operation „Minerva“, dass sich der gesuchte Diktator Manuel Noriega, der selbst über Jahre mit der CIA kooperierte, in der vatikanischen Botschaft in Panama Stadt aufhielt.

Am 5. April 1986 explodiert eine Bombe im bei US-Soldaten beliebten West-Berliner Club „La Belle“, drei Menschen sterben, über 200 werden verletzt. Nur einen Tag später verkündet US-Präsident Ronald Reagan öffentlich, dass die USA zweifelsfreie Beweise dafür haben, dass das lybische Regime unter Muhamad Gaddafi dahintersteckte.

Auch diese Erkenntnis geht auf Kommunikation zurück, die CIA und BND in der Operation „Rubikon“/ „Minerva“ abhörten. So kam der ehemalige Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt Bernd Schmidbauer zu dem Schluss, „Rubikon“ habe dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geblieben sei.

Diese Bewertung ist sicher nur ein Teil der Wahrheit. Denn die Liste der Länder, deren Kommunikation durch die Operation „Rubikon“/ „Minerva“ mitgehört werden konnte, beinhaltet auch zahlreiche Diktaturen. Ob und wie die Geheimdienste hier über Menschenrechtsverletzungen, Massenmorde oder bevorstehende Umstürze informierten, ist zumindest unklar. Klar hingegen ist, dass weder die Bundesrepublik noch die USA zum Beispiel gegen das Pinochet-Regime aktiv wurden.

Spionage auch gegen verbündete Staaten

Zu den Kunden der Crypto AG gehörten auch EU- und NATO-Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Spanien, Italien oder Irland. Vor allem die CIA drang immer wieder darauf, mit „Verbündeten so umgehen, wie sie mit Drittweltstaaten umgehen“. Immer wieder kam es zum Streit darüber, denn offenbar wollte der BND die Grenze zur offenen Spionage gegen Verbündete nicht (so weit ?) überschreiten. Der vielgescholtene BND protestierte bei der CIA gegen ein „spying on friends“ – auch dies eine der vielen Schlagzeilen der „Rubikon“/ „Minerva“.

1993 dann beendete der die BND die Partnerschaft und verkaufte der CIA seine 50 % der Firma. Auslöser war die sogenannte Affäre „Hydra“: 1992 war der schweizer Vertreter der Crypto AG Hans Bühler im Iran festgenommen und wegen Spionage unter widrigen Umständen eingesperrt worden. Erst neun Monate und mindestens eine Million DM später kam er frei.

Bühler hatte, wie die meisten Angestellten der Crypto AG, keine Ahnung davon, dass er für BND und CIA arbeitete. Dies interessierte das Regime in Teheran, das seit langem zu den Kunden der Crypto AG gehörte und Verdacht geschöpft hatte, wenig. Für den BND und die Bundesregierung wurde Bühler und die Affäre „Hydra“ zum Anlass, die Partnerschaft zu beenden.

Operation Rubikon – Erfolg oder Skandal?

Die Operation „Rubikon“ des BND hatte viele Facetten. Die CIA sprach vom „Geheimdienst-Coup des Jahrhunderts“, der Geheimdienstforscher Prof. Richard Aldrich, Experte für die ZDF-Dokumentation und Partner des Deutschen Spionagemuseums, nannte es eine der kühnsten und auch skandalträchtigsten Operationen. Terroranschläge wie der auf die Berliner „La Belle“ konnten so aufgeklärt werden, gleichzeitig wurden verbündete Staaten abgehört. Informationen über Diktaturen wurden entweder nicht weitergeleitet oder aber von der bundesdeutschen und der US-Regierung nicht verwendet. Zahlreiche Staaten gaben ein Vermögen für sichere Kommunikation aus – und wurden getäuscht. Dies sind das Geschäft und die Aufgabe von Nachrichtendiensten, die Grenzen zwischen Erfolg und Skandal verlaufen manchmal fließend.

Die Übernahme der Crypto AG durch BND und CIA fand über 40 Jahre vor den Enthüllungen Edward Snowdens statt. Lange vor dem Aufstieg des Internets und der Smartphones schufen sich BND und CIA Hintertüren in der weltweiten Kommunikationstechnologie. Im Gegensatz zur modernen Kommunikationsüberwachung von NSA und Co. zielte „Rubikon“/ „Minerva“ allerdings nur auf staatliche Einrichtungen. Und sie zeigte, dass der oft als Gurkentruppe geschmähte BND offenbar aktiver war als ihm viele Beobachter zugetraut hätten.

Späte Enthüllungen

Ihre Beteiligung an der Crypto AG aufgegeben hat die CIA übrigens erst im Jahr 2018. Wieder verdiente sie mindestens 50 Millionen Dollar an dem Verkauf. Und erst im Februar 2020, nach der Veröffentlichung der Recherchen zu „Rubikon“ / „Minerva“ liefen in der Schweiz offizielle Ermittlungen an. Der BND-/CIA-Hintergrund der Crypto AG war den Schweizer Behörden freilich schon lange bekannt. Dies galt übrigens auch für das Vereinigte Königreich, Israel und Frankreich. Die französischen Geheimdienste wollten bereits 1967 zusammen mit ihren Kollegen vom BND die Crypto AG übernehmen. Doch der alte Hagelein sagte ab. Die einzigen, die niemals bei der Crypto AG einkaufen gingen, waren übrigens China und die Sowjetunion. Sie wussten, wieso…


Die Sendetermine dieser spannenden TV-Dokumentation:


Bilder: ehemalige BND-Zentrale Pullach: Bjs [CC BY-SA 4.0] / Hagelin C-446: Deutsches Spionagemuseum / Logo CIA: CIA / Logo Crypto AG: Crypto AG / Logo BND: BND

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 11.02.2020