Rezension: Atomic Blonde – Agententhriller in der Hauptstadt der Spione

Berlin im November 1989 – die politische Lage spitzt sich zu. Es sind die Tage des Mauerfalls, die als Hintergrund für eine klassische Agentenstory dienen. Eine Liste mit Namen von Agenten kommt abhanden und muss wieder aufgespürt werden. So weit nicht unrealistisch. Doch die ersten Minuten des Films machen sehr deutlich, wie der Film mit historischen Realitäten umzugehen gedenkt. Sie dienen lediglich als Projektionsfläche für das große Hollywood-Kino.

Actionkino statt Historiendrama

Die Handlung beginnt vorhersehbar: Ein britischer Agent wird von seinem sowjetischen Gegenspieler erschossen und die Liste wechselt ihren Besitzer. Lorraine Broughton (Charlize Theron), Top-Agentin des MI6, wird in die deutsche Hauptstadt entsandt, um mit dem dort verbliebenen Kollegen David Percival (James McAvoy) die Liste zurückzuholen.

Die Irrungen und Wirrungen, die die ostdeutsche Bevölkerung in den Tagen des Mauerfalls erlebte, spiegeln sich im Verhalten der Geheimdienste und ihrer Mitarbeiter. Es heißt “Jeder gegen Jeden”. Die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen. Loyalitäten lösen sich auf. An sich ein spannender Ansatz, der jedoch im Popcornkino untergeht. Wer jetzt gerade aus welchem Grund wen verrät, das wird nicht immer ganz ersichtlich. Nicht zuletzt, weil minutenlange Action-Szenen den Fortgang der Story wiederholt unterbrechen.

Graphic Novel als Filmgrundlage

Eine tiefgründige Story – das bietet „Atomic Blonde“ also nicht. Stattdessen liegen die Stärken des Films in der Welt, die Regisseur David Leitch und Drehbuchautor Kurt Johnstad erschaffen. Grundlage bildete die Graphic Novel „The Coldest City“ von Antony Johnson und Sam Hart, deren Ideen von Leitch und Johnstad konsequent in die Produktion übertragen werden.

Der Film überzeichnet maximal. Zum Beispiel, wenn das Informanten-Netzwerk des britischen Residenten in Berlin nahezu ausschließlich aus Punks besteht. Diese werden für ihre Informationen mit Jack Daniels entlohnt.

Auch Berlin wird natürlich nicht realitätsgetreu dargestellt, wenn dieselben Punks auf ausgebrannten Autos direkt an der innerstädtischen Mauer herumlungern. Ist gerade kein Platz für eine Kampf-Szene, dann hält man das Tempo mit einer Reihe flotter Sprüche oder diversen erotischen Einschüben. Mit Charlize Theron im Eisbad oder in einer lesbischen Sexszene mit Kollegin Sofia Boutella lässt sich die eine oder andere Länge gut überbrücken. Viele Gedanken wurden sich auch um den Soundtrack gemacht. Konsequent ziehen sich die Klassiker der 80er-Jahre durch den Film und tragen dazu bei, dass der Zuschauer bei der Stange gehalten wird.

Was man bei einem Film dieser Couleur nicht zwingend erwarten würde, ist die Genauigkeit in einigen technischen Details. Zum Teil werden Tonaufzeichnungsgeräte verwendet, die so noch nie in Filmproduktionen zu sehen waren. Der Grund: Sie wurden bis vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich von Geheimdiensten genutzt.

So pendelt der Film zwischen einem halbwegs realen Anspruch mit dem Setting in der Zeit des Mauerfalls und den sich daraus ergebenen Problemen für die Geheimdienste. Dabei ist er in vielen Punkten aber derart realitätsfern, dass er bewusst zum Schmunzeln anregt. Für einen unterhaltsamen Kinoabend reicht das aber auf jeden Fall! Heute feiert der Film mit Stargast Charlize Theron in Berlin seine Deutschland-Premiere.

Autor: Christoph Ewering

Veröffentlicht am: 17.07.2017