Veranstaltungsrückblick: Nationalsozialisten in Diensten der DDR-Spionage

Gibt es Ethik in der Spionage? Anhand von Agentenbiografien diskutierten am 07. Oktober 2025 Historiker im Deutschen Spionagemuseum zu Loyalitäten und Ethik in der Welt der Spionage. Der historische Diskurs eröffnete auch Perspektiven auf die Gegenwart.

Nazispione und Geheimdienste im Kalten Krieg

Der Politologe Helmut Müller-Enbergs und der Historiker Bodo Hechelhammer gehören zu den Autoren der jüngst erschienenen Publikation Spionage im Grenzland. Nachrichtendienste in Schleswig-Holstein und Süddänemark. Dieser macht anhand zahlreicher wissenschaftlicher Beiträge deutlich, weshalb diese Regionen immer wieder nachrichtendienstliche „Hotspots“ waren. Die Beiträge von Enbergs und Hechelhammer befassten sich mit ehemaligen Nationalsozialisten und ihren geheimdienstlichen Karrieren wie der von Hans Sommer.

Bodo Hechelhammer, Moderator Sven Felix Kellerhof und Helmut Müller-Enbergs (v.l.n.r.) auf dem Podium im Deutschen Spionagemuseum

Für Bodo Hechelhammer ist der Fall Hans Sommer ein Paradebeispiel für die Vorgänge mit ehemaligen Nationalsozialisten in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der ehemalige Angehörige des Sicherheitsdienstes der SS arbeitete im Kalten Krieg erst für die Organisation Gehlen, aus der später der BND wurde, und danach als Agent des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS).

Hier werde deutlich, dass man von Seiten der Geheimdienste – entgegen manch offizieller Lesart – sehr wohl mit ehemaligen Nazis gearbeitet habe. Gerade beim MfS war man Hechelhammer zufolge aber besonders bemüht, derartige Kooperationen geheim zu halten. Immerhin nutzte die DDR-Politik bei ihrer Propaganda eifrig das Argument einer „faschistischen“ BRD, da passte eine Kooperation mit Nationalsozialisten schlecht ins Bild.

Wenn es auch keine ehemaligen Nationalsozialisten unter den hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern gegeben habe, so doch durchaus als geheimdienstliche Quellen und Zuträger. Diese seien dann auch bewusst vor juristischer Verfolgung geschützt worden. Auch Sommer starb als unbescholtener Bürger

Wo lagen die Loyalitäten der Agenten?

In der Diskussion setzten sich die Historiker mit der Frage auseinander, wie Agenten für derart ideologisch unterschiedlich ausgerichtete Geheimdienste arbeiten konnten, ohne dass sich ein Loyalitätskonflikt ergab. Enbergs erklärte dazu, dass nachrichtendienstliche Arbeit generell wenig mit Ethik zu tun habe. Es gehe darum, jede verfügbare nützliche Information sammeln. Gewissensprobleme damit, als ehemalige Nazis Quellen und Agenten einzusetzen, hätte es kaum gegeben.

Hechelhammer wies darauf hin, dass die Agenten der 1950er/60er-Jahre in Deutschland bereits verschiedenste politische Systeme und ihren Zusammenbruch erlebt hätten: das Kaiserreich, die Demokratie der Weimarer Republik, eine nationalsozialistische Diktatur, nun kam in einem Teil Deutschlands auch noch der Sozialismus hinzu. Dies hätte dazu geführt, dass nur wenig Vertrauen in derartige Institutionen und ihr längeres Überdauern bestand. Eine tiefgehende Loyalität zu einem deutschen Staatsgebilde war auf dieser Grundlage kaum zu erwarten.

Die einzige Lebenskonstante jener Agenten habe oft darin bestanden, dass sie im Kontext von Sicherheitsdiensten (Geheimdienst, Polizei u. ä.) arbeiteten. Daher lag die Loyalität eher bei dem jeweiligen Geldgeber als beim Staat oder einer Ideologie. Enbergs ergänzte, dass es zudem bei allen ideologischen Unterschieden zum Beispiel im Hinblick auf den Anti-Amerikanismus Interessensüberlagerungen sogar zwischen Nazis und Kommunisten gab.

Warnungen ins heute?

Für Enbergs fanden sich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema einige gegenwärtige Parallelen zur Zeit der 1950er-Jahre. Dies sei zum Beispiel in den politischen Konstellationen zu beobachten und der Wirksamkeit von (braunen) Netzwerken. Für ihn stellt sich die Frage: Was kann man aus solchen Prozessen lernen, um die Demokratie wehrhafter zu gestalten?

Hechelhammer ergänzte, dass man aus diesen Geschichten zudem lernt, dass Täter einer Bestrafung entgehen, wenn sie einen funktionalen Nutzen für eine andere Partei besitzen. Das MfS habe sehr bewusst auf frustrierte entlassene Mitarbeiter westdeutscher Geheimdienste zugegriffen.

Ähnliches könne nun auch den USA drohen. Es würde nicht verwundern, wenn die Geheimdienste Chinas und Russlands den gegenwärtigen massiven behördlichen Abbau bei US-Institutionen genau beobachten. Hier würden sich für feindliche Dienste viele Ansatzmöglichkeiten bieten, neue Agenten anzuwerben.


Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 09.10.2025