Außergewöhnliche Spionagetechnik: Das Ding

Der Kalte Krieg gilt als Hochzeit der Spionage zwischen Sowjetunion und USA. Dass die gegenseitige Spionage bereits begann, als beide Parteien noch verbündet im Zweiten Weltkrieg kämpften, beweist die außergewöhnliche Geschichte einer Abhöreinrichtung, die den seltsamen Namen Das Ding (engl. The Thing) erhielt.

Ein Begrüßungsgeschenk mit Hintergedanken

Manchmal ist es einfacher, den direkten Weg zu gehen, um Spionagetechnik in ein bestimmtes Gebäude zu bringen. Das sowjetische Abhörgerät, um das es hier geht, wurde nicht über geheime Kanäle zum Einsatz gebracht, sondern als offizielles Geschenk. Es handelte sich dabei um eine große, holzgeschnitzte Version des amerikanischen Siegels. Dieses wurde im August 1945 dem US-Botschafter in der Sowjetunion, Averell Harriman, übergeben.

Eine Delegation der Jungen Pioniere der Sowjetunion übergab die Schnitzerei dem Botschafter als Begrüßungsgeschenk. Es sollte eine „Geste der Freundschaft“ an den Kriegsverbündeten sein. Das Siegel fand seinen Platz in einem Arbeitszimmer der Moskauer Residenz des US-Botschafters. Der perfekte Ort also, um interessante Gesprächsinhalte auszuspionieren.

Neuartige sowjetische Abhörtechnik in US-Botschaft

Die versteckt innerhalb des Holzsiegels eingesetzte Abhörtechnik war damals etwas komplett Neuartiges. Sie war einerseits mit einem Durchmesser von nur 24 mm und einer Länge von lediglich 19 mm sehr klein. Zudem arbeitete sie passiv, ohne eigene Stromversorgung oder aktive elektrische Elemente. Dadurch war diese spezielle Wanze mit üblichen Wanzensuchgeräten nicht zu entdecken. Der Aufbau der Abhöreinrichtung war simpel, aber effektiv: Es handelte sich um einen Hohlraumresonator mit einer kleinen Membran, die mit einer Antenne verbunden war.

Aufnahme der Abhörtechnik aus dem Inneren des Siegels [FBI-Untersuchungsbericht]

Das Abhören verlief so: Die Schallwellen der Stimmen im Büro erreichten über winzige Löcher in der Schnitzerei die Membran und versetzen diese in Schwingungen. Um aktiviert zu werden, benötigte die Abhöreinrichtung elektromagnetische Energie in Form eines Funksignals. Dieses sandten Agenten von einem Fahrzeug außerhalb der Botschaft an die Antenne.

Sobald die Antenne durch dieses energetische Signal aktiviert wurde, modulierte sie die Schwingungen, die sie von der mit ihr verbundenen Membran erhielt. Dieses veränderte Signal wiederum konnte außerhalb von dem Fahrzeug empfangen werden. Anschließend ließ es sich in ein Audiosignal umwandeln und die Gespräche waren hörbar.

Ohne diese Aktivierung strahlte das Abhörgerät kein Signal aus, welches hätte entdeckt werden können. Außerdem war die Betriebsdauer im Prinzip unbegrenzt, da es keine Batterie oder Stromanschluss benötigte.

Die Enttarnung des Dings

Ganze sieben Jahre lang verblieb diese Wanze an ihrem prominenten Platz. 1951 jedoch empfing ein britischer Funker, der in der Botschaft russischen Funkverkehr abhörte, plötzlich deutlich Gespräche aus der Botschaft. Er hatte durch Zufall das Funksignal der Wanze im Siegel aufgefangen. Die Suche nach der versteckten Wanze verlief aber zuerst ergebnislos.

Erst der Einsatz eines speziellen Empfangsgeräts führte 1952 zur Entdeckung des Abhörgeräts. Die Funktionsweise der Abhörtechnik war aber den Experten noch einige Zeit ein Rätsel, bevor sie die neuartige Konstruktion verstanden. In dieser Zeit entstand auch der Begriff The Thing, da man nicht wusste, mit was man es überhaupt zu tun hatte.

Öffentliche Präsentation der sowjetischen Abhöreinrichtung durch die USA

Die Entdeckung dieser sehr speziellen Abhöreinrichtung wurde lange geheim gehalten. Erst als die Sowjetunion 1960 die USA nach dem Abschuss eines amerikanischen U-2-Spionageflugzeugs öffentlich an den Pranger stellte, gingen diese ihrerseits mit der Entdeckung der sowjetischen Abhöreinrichtung an die Öffentlichkeit. Sie machten dadurch klar, dass die Sowjetunion ebenso eifrig spionierte. Die Bilder des Siegels gingen wie die des Spionageflugzeugs um die Welt und hatten ihren Anteil daran, dass der Kalte Krieg als Hochzeit der Spionage gilt.


Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 17.05.2024