Mossad gegen Whistleblower – Am 30. September 1986 wurde Mordechai Vanunu entführt

Whistleblower enthüllen immer wieder geheime Aktivitäten von Staaten – und zahlen dafür nicht selten einen hohen Preis. Dazu gehört auch Mordechai Vanunu, ein ehemaliger  Kernkraftwerkstechniker, der 1986 Details zum geheimen israelischen Atomwaffen-Programm verriet.

Wandel vom Soldaten zum Kommunisten

Im Gegensatz zu anderen Whistleblowern erhielt Vanunu seinen Zugang zu Staatsgeheimnissen nicht durch eine gehobene Stellung in den betreffenden Organisationen. Nach dem erfolglosen Versuch eines Physik-Studiums bewarb sich Vanunu zuerst vergeblich beim israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet. Schließlich fand er 1976 eine Anstellung beim Negev-Kernforschungszentrum in Dimona. Nach einer kurzen Ausbildung arbeitete er dort als Kernkraftwerkstechniker und Schichtleiter für die Nachtschicht.

Aufnahme des Kernforschungszentrum Negev durch
einen amerikanischen Aufklärungssatelliten, 1968

Das Negev-Forschungszentrum ist eine israelische Anlage zur Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen. Auch wenn viele Geheimdienste vermuteten, dass Israel bereits Atomwaffen entwickelt hatte, gab Israel selbst dieses nie offiziell zu. Dementsprechend war die Anlage damals hochgeheim, weshalb Vanunu bei seiner Anstellung Verschwiegenheitserklärungen zur Geheimhaltung unterschreiben musste. Auch Reisen in arabische Länder waren ihm strikt untersagt, um nicht entführt zu werden.

Politischer Gesinnungswandel

1979 begann Vanunu ein Wirtschaftsstudium. Sein großzügiges Gehalt erlaubte es ihm zudem, ausgiebige Reisen in Europa und Nordamerika zu unternehmen. An der Universität und durch die Eindrücke seiner Reisen veränderte sich seine politische Überzeugung, sodass er der gesellschaftlichen Entwicklung und der Außenpolitik Israels schließlich stark kritisch gegenüberstand.

Seine neuen linksgerichteten und pro-arabischen Überzeugungen entgingen seinem Arbeitgeber nicht. Vanunu wurde mehrfach von Sicherheitsbehörden verhört, kam aber mit Verwarnungen davon. Anfang 1985 verlor er seine Anstellung am Negev-Kernforschungszentrum aufgrund von Budgetkürzungen, doch die Gewerkschaft sorgte für seine Wiedereinstellung. Nach diesem Ereignis fertigte Vanunu heimlich über 50 Fotoaufnahmen der Anlage an.

Eines von Vanunus Fotos aus dem Kernforschungszentrum:
Atommaterial in einer Modellbombenanordnung

Als ihn seine Vorgesetzten in eine weniger relevante Position versetzten wollten, kündigte Vanunu seine Anstellung. In den folgenden Monaten bereiste er die Welt und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Unter seinen vielfältigen Bekanntschaften dieser Zeit befand sich ein Journalist, der Vanunu überzeugte, seine Geschichte an eine Zeitung zu verkaufen. Es kam zum Kontakt mit der britischen Zeitung Sunday Times. Nach einem ersten Interview wurde Vanunu nach London geflogen, wo er über die ihm bekannten Details zum israelischen Nuklearprogramm berichtete.

Um den Wahrheitsgehalt von Vanunus Aussagen zu überprüfen, führte die Sunday Times Hintergrundchecks zu seiner Person in Israel durch. Zusätzlich wandte man sich mit Bitte um eine Stellungnahme an die israelische Botschaft. Israel wies Vanunus Informationen als unkorrekt zurück und stellte ihn als unwichtigen Techniker dar, der kaum Ahnung von den Vorgängen in der Anlage gehabt habe.

Tatsächlich war dies nicht das erste Mal, dass Israel von Vanunus Veröffentlichungsplänen erfuhr. Auch jener Journalist, der Vanunu davon überzeugte, sich an eine Zeitung zu wenden, hatte in Hoffnung auf eine Belohnung den israelischen Geheimdienst informiert. Der Plan, Vanunu mundtot zu machen, war vermutlich bereits in Arbeit, konnte die Veröffentlichung aber nicht mehr verhindern. Am 5. Oktober 1986 erscheinen in der britischen Presse die Enthüllungen über das bis dahin der Öffentlichkeit unbekannte Nuklearwaffenprogramm Israels.

Whistleblower und Verschleppung

Der israelische Auslandsgeheimdienst arbeitete fieberhaft daran, den Whistleblower zu ergreifen. Man setzte die Mossad-Agentin Cheryl Ben Tov auf Vanunu an, mit dem Ziel, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn in eine Falle zu locken. Die Agentin mit dem Decknamen Cindy ist US-Amerikanerin aus jüdischer Familie. Während eines Aufenthalts in Israel lernte sie ihren Ehemann kennen, einen israelischen Geheimdienstoffizier. Durch diesen kam sie in Kontakt mit dem Mossad, der sie zur Agentin ausbildete.

Titelblatt der Sunday Times mit Vanunus Enthüllungen

Schnell gelang es der welterfahrenen Agentin, dass Vanunu ihr vertraute. Sie überredete ihn zu einem Kurzurlaub in Rom und dort schnappte am 30. September 1986 die Falle zu. Mossad-Agenten überwältigten den überraschten Whistleblower und betäubten ihn mit Drogen. Getarnt als Diplomatengepäck, und damit sicher vor Kontrollen an Grenzen, wurde Vanunu anschließend auf einem Schiff nach Israel geschmuggelt.

Die Agentin Cindy scheint ihren Job perfekt ausgeführt zu haben – so gut, dass Vanunu noch 2004 erklärte, dass er kaum glauben könne, dass sie eine Mossad-Agentin gewesen sei. Sie selbst ist – offiziell – nicht mehr als Agentin tätig, sondern arbeitet als Immobilienmaklerin in den USA.

In der Haft isoliert, in der Freiheit mit Maulkorb

Nachdem die israelische Regierung wochenlang bestritten hatte, etwas über Vanunus Verbleib zu wissen, war es der Inhaftierte selbst, der die Wahrheit ans Licht brachte. Bei einem Transport in einem Polizeibus gelang es ihm, einem Journalisten eine geheime Nachricht zukommen zu lassen. Dazu hatte er „Vanunu M – was hijacked – in Rome ITL – 30. 9. 86 – came to Rome – by BA Fly 504“ auf seine Handinnenflächen geschrieben und diese an die Fensterscheibe gehalten.

Mordechai Vanunu, 2009
[Eileen Fleming, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons]

Nach einem Geheimprozess wurde Vanunu am 24. März 1988 wegen Landesverrats und Spionage zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Er verbrachte den Großteil der Strafe in Isolationshaft. Auch nach seiner Freilassung ist Vanunu kein richtig freier Mann. Er muss sich an strenge Auflagen halten, Interviews sind ihm verboten, er darf Israel nicht verlassen. Die Tatsache, dass er dennoch immer wieder mit Journalisten spricht, sorgte bereits mehrmals dafür, dass er erneut kurze Haftstrafen und Hausarreste verbüßen musste.

Für sein trotz dieser Repressalien kontinuierliches Engagement erhielt er mehrere internationale Auszeichnungen und wurde für den Friedensnobelpreis nominiert. Vor konkreter Unterstützung schrecken aber viele Länder zurück: Seine Asylanträge in Norwegen und Schweden wurden mit dem Hinweis auf außenpolitische Interessen abgelehnt.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 30.09.2022