Rückblick: Innenansichten von Agentenpaaren und ihren Legenden

Selbst für das Deutsche Spionagemuseum war dieses Agententreffen außergewöhnlich: Im Rahmen einer Buchvorstellung kamen zwei Agentenpaare zusammen, die im Kalten Krieg für den Osten spionierten. Sie boten detailreiche Einblicke in Ausbildung und Arbeitsweisen damaliger Spione.

HV A- und KGB-Agenten im Spionagemuseum

Auf dem Podium eingefunden hatten sich am 24. April 2022 Beatrice Altmann-Schevitz und Jeffrey Schevitz, beide ehemalige Agenten des DDR-Auslandsnachrichtendienstes  HV A, sowie Heidi und Wolfhard Thiel, ehemalige Agenten des KGB. Die Moderation übernahm gewohnt souverän Helmut Müller-Enbergs. Anlass der Veranstaltung war die Publikation des Buchs Der Schatten im Schatten, ein Lebensbericht von Beatrice Altmann-Schevitz.

Die an diesem Abend vorgetragenen Berichte aus dem Spionagealltag waren auch deswegen so vielschichtig, weil die Agentenpaare nicht nur thematisch, sondern auch örtlich völlig unterschiedlich eingesetzt waren. Beatrice Altmann-Schevitz und Jeffrey Schevitz sollten als US-Amerikaner in Westdeutschland Informationen aus dem Bundeskanzleramt beschaffen.

Das Ehepaar Thiel landete als sogenannte Schläfer-Agenten nach langer Ausbildung in New York. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, im Falle einer Eskalation des Kalten Kriegs die durch den Wegfall diplomatischer Vertretungen gefährdeten KGB-Netzwerke aufrechtzuerhalten.

Wie entsteht eine Agenten-Legende?

Es bedurfte einiger Vorbereitung, bevor Heidi und Wolfhard Thiel mit falschen Legenden in die USA eingeschleust werden konnten. Die Grundlage zur Schaffung einer solchen Tarnidentität stellten die Geburtsurkunden von früh verstorbenen amerikanischen Kindern dar, dessen Jahrgang annähernd dem der Agenten glich, wie Wolfhard Thiel schilderte. Auf Grundlage dieser Geburtsurkunde baute der KGB dann eine Legende mit allen Lebensstationen auf.

Eines war mit dieser Legende allerdings klar: Eine Beschäftigung bei einem Unternehmen oder einer Behörde, die sich auch als Spionageziel geeignet hätte, wäre aussichtslos. Einem umfassenden Background-Check hätte sie niemals standgehalten. Das Ziel des Agentenpaares war es, sich unauffällig in die Gesellschaft zu etablieren und Leute kennenzulernen. Eine zusätzliche Spionagetätigkeit hätte den eigentlichen Einsatzzweck sabotieren können.

Dementsprechend war das Ehepaar größtenteils auf sich allein gestellt. Es fanden auch keine Treffs mit KGB-Kontakten statt. Die Kommunikation mit dem KGB beschränkte sich auf den Empfang codierter Nachrichten, auf die mit in Geheimtinte geschriebenen Briefen geantwortet wurde. Der Vorgang war langwierig, laut Heidi Thiel vergingen oft 3-4 Wochen, bevor es Antworten auf Fragen gab.

Spionage in Westdeutschland

Eine aufwendig gestaltete Legende benötigte der US-Wissenschaftler Jeffrey Schevitz nicht. Die HV A ging davon aus, dass es für den am Nuklearforschungsinstitut in Karlsruhe tätigen Amerikaner ein leichtes sei, im Bundeskanzleramt Zugang zu erhalten, etwa im Rahmen einer Forschungskooperation.

Diese Annahme stellte sich als Trugschluss heraus, der Agent Schevitz aber keinesfalls als wertlos. In der Folge warb er unter falscher Flagge als Repräsentant eines US-Unternehmens deutsche Quellen an, um Informationen zur westdeutschen Politik und Wirtschaft zu erlangen.

Schevitz schien sein Handwerk zu verstehen und erfolgreich Informationen zu sammeln. Wie Helmut Müller-Enbergs berichtet, steht das Ehepaar in der Bestenliste des zuständigen HV A-Referats auf Platz vier in Bezug auf die Menge der gelieferten Informationen. Zu den hochwertigen Quellen gehörten Jeffrey Schevitz zufolge ein Berater eines Bundesministers und ein renommierter Politikwissenschaftler.

Während ihr Ehemann für die Kontaktpflege zuständig war, übernahm Beatrice Altmann-Schevitz die Logistik des Spionagegeschäfts. Dazu gehörten das Fotografieren der Dokumente sowie das Präparieren derselben für den geheimen Transport in die DDR.

Dazu nutzte sie einen sogenannten rollenden Container. Sie reiste nach Baden-Baden, betrat dort den Interzonen-Zug nach Ost-Berlin und versteckte die Unterlagen in einem Geheimfach der Zugtoilette. Zudem hinterließ sie mit ihrem Schminkstift Punkte unter dem Fenster der Toilette als Markierung für die HV A-Agenten, welche das Versteck nach der Ankunft des Zuges in Ost-Berlin leerten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Beatrice Altmann-Schevitz den Zug längst verlassen.

Das Ende der Agententätigkeit

Die Ereignisse um die friedliche Revolution der DDR sowie die folgende Auflösung der Sowjetunion beendete die Spionageaktivitäten der Agentenehepaare. Das Ehepaar Thiel entschied sich aus Heimweh zur Rückkehr in die ehemalige DDR und brach den Kontakt zum KGB ab. Beatrice Altmann-Schevitz und Jeffrey Schevitz vernichteten alle Beweise ihrer Agententätigkeit, nachdem das Ministerium für Staatssicherheit aufgelöst worden war. Ihnen wurden schließlich die Rosenholz-Dateien zum Verhängnis, die ihre Zusammenarbeit mit der HV A enttarnten.

Der außergewöhnliche Abend mit den Agenten aus dem Kalten Krieg bot zahlreiche weitere Einblicke. Vielleicht folgt im nächsten Jahr die Fortsetzung, denn Heidi Thiel kündigte an, ähnlich wie Beatrice Altmann-Schevitz ihre Erlebnisse niederschreiben zu wollen. Es gäbe sicher keinen besseren Platz, um auch dieses Werk vorzustellen, als das Deutsche Spionagemuseum.


Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 24. Mai 2022 widmet sich der aktuellen Arbeit deutscher Nachrichtendienste. Zu Podiumsdiskussion erwarten wir hochranginge Experten, Politiker und Geheimdienstler.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 03.05.2022