The Spy‘s Gambit – Schach und Spionage

Manchen Themen geht es wie dem Wein – mit dem Alter werden sie immer besser. Das bezieht sich nicht nur auf die Spionage als einem der ältesten Gewerbe der Welt. Auch das Schachspiel erlebt derzeit einen Boom wie selten in seiner jahrhundertelangen Geschichte. Beide Themen haben mehr miteinander gemein, als es auf den ersten Blick erscheint.

Fiktion als Popularitätsbooster

Dabei ist es oft nicht unbedingt ein großer Hang zur realen Welt, der einem Thema zu großer Popularität verhilft. Ein großer Teil des Mythos um die Welt der Spione speist sich durch fiktionale Helden aus Spionageromanen und Agentenfilmen. Ebenso profitiert auch die Schachwelt derzeit vor allem von einer erfundenen Geschichte.

Die Netflix-Erfolgsserie The Queen´s Gambit (dt. Das Damengambit) hat für viele Zuschauer das Spiel erst interessant gemacht. Auch wenn die Serie übrigens in aller Welt (USA, Frankreich, Russland) spielt, wurde sie vor allem in der Spionagehauptstadt Berlin gedreht. Die Serie hat dazu geführt, dass Schachclubs derzeit einen nie gekannten Ansturm erleben.

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Ähnlich „profitieren“ auch Geheimdienste von den Abenteuern von James Bond & Co. Regelmäßig steigen dort die Bewerberzahlen nach erfolgreichen Blockbustern mit Spionagehelden an. Das Bild vom spektakulären Agentenleben ist allerdings stark verzerrt. Sowohl BND als auch MI6 weisen mittlerweile bei Stellenausschreibungen süffisant darauf hin, dass schwer trinkende, zockende und um sich schießende Agenten bei ihnen keine Perspektive haben.

Solche Probleme sind bei den Schachclubs weniger zu erwarten. Es sei denn, die neuen Schachspieler nehmen sich die Betäubungsmittelabhängigkeit der Protagonisten von The Queens Gambit zum Vorbild…

Parallelen zwischen Spionage- und Schachwelt

Vor allem der strategische Charakter des Schachspiels eröffnet zahlreiche Parallelen zur Spionagewelt. Die Fähigkeit von Schachspielern, mehrere Züge im Voraus zu planen, erweist sich auch in einer Vielzahl an Spionageoperation als nützlich.

Das Vorgehen eines Geheimdienstes ist dabei dem eines Schachspielers nicht unähnlich: Genaues Beobachten und Analysieren der Vorgehensweise des Gegners und anschließend die eigenen Spielsteine (Agenten) in der richtigen Art und Weise bewegen. Dabei ist es sowohl beim Schach als auch in der Spionage manchmal nötig, bestimmte Opfer zu bringen, um den Gegner zu täuschen und in die Falle zu locken.

Auch Stuart Arthur Herrington, der für die US-Spionageabwehr im Kalten Krieg unter anderem in Berlin und Vietnam im Einsatz war, verglich Spionage mit dem Schachspiel. Herrington ist besonders bekannt für seine außergewöhnlichen Vernehmungsmethoden. Diese unterschieden sich von gängigen Methoden darin, dass sie nicht auf Druck und Folter setzen, sondern darauf, das Vertrauen der verhörten Person zu gewinnen.

Ähnliche Verhörmethoden kamen schon im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz, zum Beispiel in der streng geheimen US-Militäreinrichtung P.O. Box 1142. Auch hier wurde Vertrauen aufgebaut, um an Informationen zu gelangen. Am besten sollen sich dabei Zigaretten und Schach bewährt haben.

Schachspieler als Codeknacker

Das gut trainierte analytische Denken eines Schachspielers kommt noch in einem anderen Bereich der Geheimdienste-Arbeit zum Einsatz: der Kryptografie. Nicht umsonst haben berühmte Schachspieler wie Conel Hugh O’Donel Alexander oder Philip Stuart Milner-Barry im Zweiten Weltkrieg für die Government Code and Cypher School (GC&CS) im englischen Bletchley Park daran mitgearbeitet, die Chiffriertechniken der Deutschen, vor allem der berühmten Enigma, zu knacken.

Schachspieler eignen sich für den Einsatz als Kryptografen durch ihre ausgeprägte Fähigkeit, Muster erkennen zu können. Gute Schachspieler kennen Tausende von Mustern und Abläufen des Spiels auswendig. So sind sie in der Lage, die Spielzüge ihrer Gegner vorherzusehen. Die Mustersuche ist auch eine entscheidende Methode beim Entziffern chiffrierter Texte.

Conel Hugh O’Donel Alexander beim Schachspiel

Erst kürzlich wurde bekannt, dass Conel Hugh O’Donel Alexander auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter für die GC&CS (die 1946 in Government Communications Headquarters GCHQ umbenannt wurde) arbeitete. Die Tatsache, dass er offiziell an internationalen Schachturnieren teilnahm, diente ihm dabei als perfekter Deckmantel für seine ausgedehnten Reisetätigkeiten für den GCHQ.

Übrigens war auch der berühmteste Kryptologe in Bletchley Park, Alan Turing, ein leidenschaftlicher Schachspieler. Nach dem Krieg war er unter anderem an der Entwicklung des ersten Schachprogramms der Welt für Computer beteiligt.

Schachspiele als Spionagecontainer

Last, but not least: In der Sammlung des Deutschen Spionagemuseums befindet sich zudem ein Objekt, das einen konkreten Bezug zwischen der Spionage- und der Schachwelt aufweist.

Es handelt sich um einen Nachbau eines Reiseschachspiels, welches durch die Staatsicherheit der DDR als Container zum Schmuggel von Geheiminformationen genutzt wurde. Das Original entdeckte man bei einem DDR-Agenten, als dieser vom Bundesverfassungsschutz (BfV) enttarnt wurde.

Schachspiel-Container
[Sammlung Deutsches Spionagemuseum]

Das Geheimfach, indem sich eine Mikratkamera und zwei Filmkassetten verbargen, war raffiniert gesichert. Erst wenn der Agent einen spitzen Gegenstand, zum Beispiel eine Nadel, in ein winziges verstecktes Loch steckte, ließ sich die Unterseite des Spiels abnehmen und gab den Zugang zu dem Geheimfach frei.

Auf Reisen konnte der Agent also gleichzeitig die ausspionierten Informationen transportieren als auch seine mentalen Spionagefähigkeiten beim Schachspiel trainieren.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 25.02.2021