Flucht eines Top-Spions: Am 1. Juli 1963 gibt die britische Regierung zu, dass Kim Philby entkommen ist

Doppelagenten gehören zu den beliebtesten als auch zu den verhasstesten geheimdienstlichen Quellen. Jeder Nachrichtendienst träumt davon, einen Spitzel in den Reihen des Gegners zu platzieren – und gleichzeitig ist die Furcht, selbst einen solchen Agenten im eigenen Dienst zu haben, ständig präsent. Die Liste der hochrangigen Doppelagenten ist lang, vom BND/KGB-Agenten Heinz Felfe über den GRU/MI6/CIA-Agenten Oleg Penkowski bis hin zum FBI/KGB-Agenten Robert Hanssen.

Der Enttarnung von Doppelagenten wird große Bedeutung zugemessen. Die Schmach aber, wenn es einem Doppelagenten gelingt, sich der Bestrafung durch Flucht zu entziehen, ist angesichts der Schwere des Verrats besonders groß. Das Schicksal des Kim Philby zeigt, dass auch der berühmte MI6 vor so einer Niederlage nicht gefeit ist.

Von Cambridge-Absolventen zum MI6-Agenten

Philby, der mit richtigen Vornamen Harold hieß, aber seit seiner Kindheit stets den Spitznamen „Kim“ nutzte, avancierte während seines Studiums in Cambridge während der frühen 1930er-Jahre zum überzeugten Kommunisten.

Die Entwicklung war unter intellektuellen Studenten nicht außergewöhnlich, die damals noch recht neue kommunistische Ideologie fand in diesen Kreisen viel Anklang – insbesondere als Gegenpart zum aufkeimenden Faschismus.

Trinity College in Cambridge: Hier wurde Philby zum Kommunisten [Rafa Esteve CC BY-SA 4.0]

Früh engagierte sich Philby in kommunistischen Organisationen. Schließlich wurde der sowjetische Nachrichtendienst auf ihn aufmerksam und rekrutierte ihn in den späten 1930er-Jahren als Agent. Auch weitere Absolventen aus seinem Umfeld wurden angeworben, sie alle bildeten den Spionagering der sogenannten Cambridge Five.

Der Wert des neuen Agenten Philby sollte sich im Zweiten Weltkrieg vervielfachen, als dieser vom britischen Auslandsnachrichtendienst MI6 angeworben wurde und auch für die legendäre britische Spezialeinheit Special Operations Executive SOE arbeitete. Zahlreiche Geheimdienst-Interna der Briten aus dieser Zeit landeten so in Moskau.

Nach dem Krieg erhielt Kim Philby die Position des Verbindungsoffiziers der britischen Geheimdienste in den USA. Dadurch gelangte er an zahlreiche Informationen der CIA. Unter anderem konnte Philby von einem amerikanisch-britischen Umsturzplan berichten, der sich gegen die kommunistische Regierung in Albanien richten sollte.

Er war nicht der einzige aktive Sowjetspion in den USA. In seinem nahen Umfeld agierten gleichzeitig zwei seiner Freunde aus den Studentenzeiten in Cambridge, Donald Maclean und Guy Burgess. Nach deren Enttarnung und Flucht geriet auch Kim Philby ins Visier der Ermittler.

Mit Plakaten suchte das FBI nach Maclean und Burgess.

Als Vorsichtsmaßnahme wurde er 1952 offiziell in den Ruhestand versetzt und arbeitete in der Folge als Journalist. Den Ermittlern gelang es aber letztlich nicht, handfeste Beweise gegen Philby zu sammeln. Schließlich wurde der Verdacht fallengelassen. Schon 1956 war Philby wieder für den MI6 im Nahen Osten im Einsatz, getarnt als Korrespondent der Zeitung „The Economist“.

Enttarnt durch einen Überläufer

Nachdem 1961 mit Anatoliy Golitsyn ein ranghohes Mitglied des KGB in den Westen übergelaufen war, flammte auf Grundlage von dessen Informationen der alte Verdacht gegen Philby erneut auf. Bei einer anschließenden Befragung durch einen befreundeten MI6-Mitarbeiter gab Philby in angetrunkenem Zustand seine Spionage für die Sowjetunion zu. Allerdings zögerte er, diese Aussage zu unterschreiben und erbat sich einen weiteren Befragungstermin.

Bevor es zu diesem zweiten Termin kam, floh Philby im Januar 1963 in die Sowjetunion. Der Schock seitens der britischen Regierung über diese Flucht saß tief – erst am 1. Juli 1963 wurde sie offiziell bestätigt. Der MI6 musste sich anschließend der Kritik stellen, zu wenig zur Verhinderung der Flucht getan zu haben.

Gedenk-Briefmarke für Kim Philby

Philby nahm in der Folge die sowjetische Staatsbürgerschaft an, lebte in Moskau und arbeitete dort für den KGB. Entgegen seinen Erwartungen erhielt er aber weder einen hohen Rang noch anderweitige Ehrungen, sondern genoss nur wenig Freiheit und wurde streng überwacht. Der KGB fürchtete, Philby könne es sich noch einmal überlegen und zurück in den Westen fliehen – einmal Doppelagent, immer Doppelagent.

Erst nach seinem Tod im Jahr 1988 wurden ihm posthum Ehrungen wie der Lenin-Orden verliehen und er erhielt ein Ehrenbegräbnis. Kurz vor dem Ende des Kalten Krieges kam der Doppelagent Kim Philby so in den Diensten sowjetischer Propaganda ein letztes Mal zum Einsatz.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 01.07.2020