Rückblick: „Boom, du bist tot! Gezielte Tötungen durch Geheimdienste“

Können geheime Tötungen im Ausland legal, ja sogar moralisch gerechtfertigt sein? In dieser ebenso heiklen wie brandaktuellen Fragen gipfelte die gestrige Podiumsdiskussion zum Thema „Gezielte Tötungen durch Geheimdienste“.

Zusammen gekommen waren dazu der ehemalige Präsident des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND Gerhard Schindler, die Journalisten Livia Gerster (FAS) und Alexej Hock (Welt) sowie das Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Deutschen Bundestag Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU). Dies war die zweite Veranstaltung in der Reihe „Die Zukunft der Spionage“, die das Deutsche Spionagemuseum gemeinsam mit Sensburg organisiert.

Nur die wenigsten Geheimdienstmorde werden als solche bekannt

Das bereits im Sommer festgelegte Thema gewann durch den Mord an dem Exil-Tschetschenen Selimkhan Khangoshvili im August 2019 und den US-Drohnenangriff auf den iranischen General Suleimani vom 3. Januar 2020 an Aktualität. Dementsprechend groß und lebhaft war das Interesse an dem Thema im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des Deutschen Spionagemuseums.

Bevor jedoch die Gretchenfrage nach Moralität und Legalität diskutiert wurde, ging das Podium grundlegenden Fragen nach. Wer tötet denn eigentlich geheim im Ausland? Hier gaben alle Diskutanten zu bedenken, dass nur die wenigsten Geheimdienstmorde wirklich als solche bekannt und öffentlich werden. Eine hohe Dunkelziffer bleibt hingegen unerkannt. Trotzdem zeigte sich, dass in der heutigen Welt vor allem Russland, die USA und Israel immer wieder gezielte Tötungen gegen bestimmte Gruppen einsetzen.

Kategorisierung der Opfer geheimdienstlicher Tötungen

Die Opfer gezielter Tötungen unterteilten die Diskutanten in drei Kategorien. Zum einen militärische Gegner. Besonders häufig gelten diese Personen als „Terroristen“, womit zahlreiche Probleme einhergehen. Denn eine klare juristische Definition von „Terrorismus“ und „Terrorist“ gibt es nicht. Allzu leicht können so politische Gegner, Oppositionelle und Dissidenten, als Terroristen gebrandmarkt werden.

Dissidenten, Oppositionelle und Überläufer stellen die zweite Gruppe an möglichen Opfern gezielter Tötungen. Sie, so beschrieb Alexej Hock für den Fall Russlands, werden oft getötet, um sie für vergangene Handlungen zu „bestrafen“. Dies soll dann auch einen abschreckenden psychologischen Effekt auf mögliche Nachahmer haben.

Eine dritte Gruppe von Opfern, warf Livia Gerster ein, wird leider besonders oft vernachlässigt: unbeteiligte Personen. Sogenannte „Kollateralschäden“ lassen sich bei gezielten Tötungen kaum vermeiden. In Norwegen etwa verwechselte der israelische Geheimdienst einen harmlosen Passanten mit einem gesuchten Terroristen – und tötete einen völlig Unschuldigen.

Neue Welle an Geheimdienst-Tötungen in Europa

Einmütig stellten die Diskutanten fest, dass es eine neue Welle gezielter Tötungen gibt, die Europa erreicht hat. Die Zeit relativen Friedens nach dem Ende des Kalten Krieges ist zu Ende und geheimdienstliche Tötungen kehren nach Europa und Deutschland zurück. Die bekannten internationalen Mechanismen zur Konfliktbewältigung versagen und die Konflikte zwischen den Großmächten USA, Russland, China und aggressiven Regionalmächten wie Saudi-Arabien werden stärker, analysierten die Experten.

„Deutschland ist immer noch einer der sichersten Staaten dieser Welt“, gab ex-BND-Präsident Schindler zu bedenken. Aber durch Globalisierung und Migration werden auch die deutschen Verbindungen zu internationalen Konflikten immer enger. Der Mord an Selimkhan Khangoshvili in Berlin sei dafür ein Beispiel. Auch solche gewaltsamen Aktionen gegen Exilanten in Deutschland könnten weiter zunehmen.

Und wie gut ist Deutschland dafür gewappnet? Schindler und Sensburg gaben dabei ein Stück weit Entwarnung. Trotzdem mahnten beide, gerade in Anbetracht der gestrigen Verhandlung des BND-Gesetzes von 2017 durch das Verfassungsgericht in Karlsruhe, Kompetenzen der Sicherheitsbehörden zu beschneiden. Einen absoluten Schutz werde es jedoch auch in diesem Punkt nie geben.

Legalität der gezielten Tötungen ist umstritten

Kontrovers diskutiert wurde die Frage der Moralität und Legalität gezielter Tötungen. Livia Gerster wies auf die wiederholten Verurteilungen gezielter Tötungen durch die Vereinten Nationen hin. Gleichzeitig, so Gerhard Schindler, geben sich sowohl die USA als auch zum Beispiel Russland und Israel durch eigene Rechtsgutachten die Selbstermächtigung, im Namen der nationalen Sicherheit auch im Ausland zu töten.

Deutsche Rechts- und Moralauffassungen, so Schindler, taugen in diesem Kontext nicht als Messlatte. „Dem BND ist so etwas rechtlich nicht gestattet und er hat es auch nie getan. Aber ich persönlich hätte keine moralischen Skrupel gehabt, den Amerikanern den Aufenthaltsort von Osama bin Laden zu übermitteln, wenn ich ihn gekannt hätte.“

Patrick Sensburg und Alexej Hock bekannten aus der Perspektive einer strikten Ablehnung der Todesstrafe, dass gezielte Tötungen im Ausland schlicht nicht akzeptabel seien. Ähnliche Debatten gab es zum Beispiel auch um den Einsatz von Folter, sowohl in der Kriminalitäts- als auch in der Terrorismusbekämpfung. 

Gleichzeitig beschrieben auch sie ein moralisches Dilemma: Denn wie sieht zum Beispiel eine moralische Bewertung der Entführung des NS-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann durch den israelischen Geheimdienst 1960 aus? Rechtlich illegal, doch moralisch hatte kaum jemand ernsthafte Bedenken. Ähnlich auch im Falle anderer NS-Verbrecher. Diesen Widerspruch konnte trotz intensiver Diskussion nicht endgültig aufgelöst werden. Die lebhaften, spannenden und dringend notwendigen Debatten müssen also unbedingt weiter fortgesetzt werden.  


In der nächsten Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum analysieren wir den Fall um Karl-Heinz-Kurras, dessen tödlichen Schüsse auf den Studenten Benno Ohnesorg und und seine Verbindung zum MfS.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 16.01.2020