Es ist eines der berühmtesten Kapitel der Spionagegeschichte: Das Knacken der Enigma und anderer deutscher Chiffriermaschinen im englischen Bletchley Park. Neben den berühmten Hauptprotagonisten wie Alan Turing waren an der streng geheimen Operation fast 10.000 Personen beteiligt. Eine der letzten Zeitzeuginnen ist nun verstorben: Betty Webb.
Eigentlich sah alles nach einem gewöhnlichen Lebensweg aus, die 1923 geborene Betty Webb hatte eine friedliche Kindheit in den britischen West Midlands. Als Schülerin besuchte sie im Rahmen eines Austauschprogramms Deutschland und lernte dort die deutsche Sprache. Später begann sie, Hauswirtschaft zu studieren.
Der Zweite Weltkrieg änderte alles: Kaum volljährig meldete sie sich 1941 beim Auxiliary Territorial Service (ATS), der Frauenabteilung des britischen Heeres. Nach ihrer Grundausbildung wurde sie zu einem mysteriösen Interview gebeten, deren Zweck man ihr damals nicht mitteilte. Es ging um eines der geheimsten Projekte der Briten: Das Dechiffrieren der deutschen Kommunikation. Vermutlich vor allem wegen ihrer Deutschkenntnisse wurde Webb nach dem erfolgreichen Interview im Bletchley Park eingesetzt.
Dort gehörte Web anfangs zur Abteilung des britischen Offiziers und Linguisten Ralph Tester, die sich mit dem Knacken der Lorenz-Schlüsselmaschine befasste. Neben dem Knacken der Enigma war das Knacken der Lorenz-Schlüsselmaschine, die für verschlüsselte Fernschreibverbindungen eingesetzt wurde, einer der wesentlichen Erfolge von Bletchley Park. Später arbeitete Web mit Funksprüchen der Marine-Enigmas und dann an japanischen Funksprüchen.
Webbs Aufgabe war es, verschlüsselte deutsche Funksprüche, die von den Briten abgefangen wurden, zu katalogisieren. Dieser analoge Vorgang war aufwendig und erforderte hohe Sorgfalt, damit sich die Informationen jederzeit fehlerfrei abrufen ließen. Auf Karteikarten notierte sie die Funksprüche und sortierte sie nach einer strengen Ordnung in Schuhkartons ein. Sie arbeitete dabei so schnell und gründlich, dass sie schließlich zur Unterstützung der amerikanischen Codeknacker nach Washington geschickt wurde.
In Bletchley Park herrschte hoher Geheimnisschutz, der es dem Personal verbot, sich untereinander auszutauschen. Jahrzehntelang war es Betty Webb wie allen im Bletchley Park tätigen Personen untersagt, etwas über die dortigen Aktivitäten in der Öffentlichkeit preiszugeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete sie als Lehrerin. Erst in den späten 1970er-Jahren wurde die Geheimhaltung zu dem Projekt teilweise gelockert. Zahlreiche Beteiligte erkannten erst zu diesem Zeitpunkt, was genau dort passiert war und wie stark sich die Aktivitäten auf den Kriegsverlauf auswirkten.
Ab den 1990er-Jahren berichtete Webb in Vorträgen über ihre Tätigkeit in Bletchley Park, 2011 veröffentlichte sie ihre Biografie. 2015 erhielt sie für ihre Verdienste den Order of the British Empire und durfte fortan den Titel MBE (Member of the Order of the British Empire) tragen. Sie selbst sagte zu ihrer Teilnahme an der Arbeit in Bletchley Park: „Ich wollte etwas anderes für die Kriegsanstrengungen tun, als Wurstsemmeln zu backen.“ Im hohen Alter von 101 Jahren ist Betty Webb nun verstorben – die vielleicht letzte Codeknackerin aus Bletchley Park.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 03.04.2025