100 Jahre Rundfunk in Deutschland: Geheimdienste und das Radio

„Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin!“ Mit diesen Worten begann am 29. Oktober 1923 die erste deutsche Rundfunksendung und läutete hierzulande das Zeitalter des Radios ein. Schnell entwickelte sich das Radio zum Massenmedium. Auch mit der Welt der Spionage kam das Radio in vielfältiger Weise in Kontakt – wie unser knapper Überblick zeigt.

Soldatensender Calais: Fake News im Zweiten Weltkrieg

Um deutsche Soldaten und die Bevölkerung zur Aufgabe zu bewegen, entwickelte der britische Journalist Sefton Delmer den Soldatensender Calais und den Kurzwellensender Atlantik. Delmer arbeitete als Sendeleiter für das geheime Political Warfare Executive (deutsch: Ausschuss für politische Kriegsführung) des britischen Außenministeriums.

Sefton Delmer

Als deutsche Radiosender getarnt, vermischten deren Programme gekonnt Unterhaltung mit gezielten militärischen Falschmeldungen und Appellen zur bedingungslosen Kapitulation an die deutsche Bevölkerung. Dabei waren die Meldungen bis ins Detail abgestimmt auf aktuelle Kriegsentwicklungen. Auch deutsche Exilanten halfen bei der Programmgestaltung mit, unter anderem der spätere Verfassungsschutz-Präsident Otto John.

RIAS und DDR-Geheimsender: Propaganda im Kalten Krieg

Der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) war einer der wichtigsten und einflussreichsten Radiosender im Nachkriegsdeutschland. Aufgrund seiner Standorte in West-Berlin und im bayrischen Hof war er auch in Ostdeutschland zu hören. Unter dem Motto „Eine freie Stimme der freien Welt“ sendete er ein innovatives Radioprogramm, dass sich großer Beliebtheit erfreute. Die pro-westlichen Berichte wurden von amerikanischer Seite durchaus auch mit propagandistischer Absicht lanciert.

1949 erklärte die DDR-Regierung den RIAS zum kapitalistischen Propagandainstrument. Das Hören des Senders wurde unter Strafe gestellt. In einer großangelegten Aktion suchte die Staatssicherheit der DDR 1955 gezielt nach ostdeutschen Informanten des RIAS. Bei den nachfolgenden Prozessen ergingen langjährige Haftstrafen und sogar ein Todesurteil. Durch zahlreiche, über die DDR verteilte Störsender versuchte man zudem, den Empfang des RIAS mit schrillen Pfeiftönen zu überlagern.

Logo des RIAS

Mit zwei Geheimsendern wirkte die DDR-Regierung ihrerseits propagandistisch in den Westen hinein. Geheimsender sind inoffizielle Hörfunksender, deren Ursprung und Standort geheim ist. Der Deutsche Freiheitssender 904 richtete sich an junge Kommunisten in Westdeutschland, der Soldatensender 935 an westdeutsche Soldaten. Ziel der Sender war es, die Hörerschaft ideologisch zugunsten der DDR zu beeinflussen. Nennenswerte Erfolge wurden dabei nicht erzielt.

Stasi-Störsender gegen Radio Glasnost

Ende der 1980er-Jahre sorgte in Berlin eine Sendung des privaten Hörfunksenders Radio 100 für Unruhe. Das monatlich ausgestrahlte Format Radio Glasnost – Außer Kontrolle lieferte Beiträge von Oppositionellen aus der DDR. Diese wurden in Ostdeutschland aufgenommen und anschließend über die Grenze geschmuggelt. Die Sendung war auch in Ost-Berlin sowie dem umliegenden Teilen Ostdeutschlands zu empfangen.

Radio Glasnost entwickelte sich zu einem wichtigen Instrument für die Bürgerrechtsbewegung der DDR. Die Staatssicherheit der DDR versuchte, die Macher der Sendung ausfindig zu machen und so die Produktion des Formats zu unterbinden. Außerdem setzten sie auch hier Störsender. Alle derartigen Aktionen erreichten das Gegenteil: Sie erhöhten die Bekanntheit der Sendung und vergrößerten die Hörerschaft.

Zahlensender: Codierte Geheimnachrichten an Agenten

Kurzwellen-Radios dienten insbesondere im Kalten Krieg als alltagstaugliches Gerät, mit dem Agenten im Ausland codierte Nachrichten empfangen konnten. Viele Radiohörer jener Zeit erinnern sich, wie sie bei der Sendersuche auf einmal von monotonen Stimmen vorgetragene, endlose Zahlenkolonnen hörten. Dass es sich hier nicht um ein normales Radioprogramm handelte, war allen klar, doch Urheber und Empfänger der Codes blieben geheim.

Sprach-Morse-Generator für Zahlensendungen

In der Regel sendeten Zahlensender nach einem festgelegten Zeitplan. Die Agenten wussten also, dass sie an bestimmten Zeiten der Woche einzuschalten hatten. Mithören konnte die ganze Welt, aber nur der individuelle Code des Agenten ermöglichte es, die Nachricht zu entschlüsseln. Die Staatssicherheit der DDR optimierte die Technik der Zahlensendungen immer weiter. Ab den 1980er-Jahren kamen Sprachgeneratoren zum Einsatz, um Fehler bei den Durchsagen zu vermeiden.

Auch wenn es heute weniger Zahlensender gibt als im Kalten Krieg – auf einigen Frequenzen hört man zuweilen immer noch die kryptischen Zahlenreihen. Ob Geheimdienste hier codierte Nachrichten an ihre Agenten schicken oder nur Unsinn senden, damit sich die Spionageabwehr feindlicher Geheimdienste umsonst den Kopf beim Decodieren zerbricht, ist unklar.

Die Hochzeit des klassischen Radios ist zwar vorüber, neue digitale Nachfolgeangebote bieten aber immer noch gute Möglichkeiten propagandistischer Nutzung. Und solange die Zahlensender noch funken, ist die Verbindung von Geheimdienst- und Radiowelt nicht abgebrochen.


Bildrechte:

Sefton Delmer: Bundesarchiv,B 145 Bild-F005102-0003/Steiner, Egon/CC-BY-SA 3.0

Sprach-Morse-Generator: Sammlung Deutsches Spionagemuseum

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 28.11.2023