Rückblick: Der 23. Juli 2017 – Entführung im Berliner Tiergarten

Die Entführung von Trinh Xuan Thanh durch den vietnamesischen Geheimdienst am 23. Juli 2017 im Großen Tiergarten gehört zu den spektakulärsten Geheimdienst-Aktionen der vergangenen Jahre in Berlin. Fünf Jahre später begeben wir uns auf Spurensuche: Wie sind die Ermittlungen verlaufen? Was wurde aus dem Entführungsopfer?

Vorgeschichte zum Fall Trinh Xuan Thanh

Um mehr über die Hintergründe der Tat zu erfahren, fand sich am 21. Juli 2022 im Deutschen Spionagemuseum ein in Bezug auf diesen Fall hochkarätiges Podium ein. Als eine der ersten Personen hatte Petra Schlagenhauf, die Rechtsanwältin von Trinh Xuan Thanh, von dem Vorfall erfahren. Sie hat seitdem die Ermittlungen eng begleitet. Auch die Journalisten Marina Mai und Trung Khoa Le beschäftigen sich seit langem mit dem Fall. Moderiert wurde der Abend von dem Politologen Helmut Müller-Enbergs.

Petra Schlagenhauf, Trung Khoa Le, Helmut Müller-Enbergs und Marina Mai (v.l.n.r.)

Um ein vollständiges und vielschichtiges Bild der Ereignisse zu erlangen, war zudem ein Vertreter der vietnamesischen Botschaft angefragt. Leider hat das Deutsche Spionagemuseum auf die wiederholte Einladung allerdings keine Antwort erhalten.

Rechtsanwältin Schlagenhauf schilderte detailliert die Ereignisse um die Entführung. Im August 2016 floh Trinh Xuan Thanh aus dem per Gericht angeordneten Hausarrest von Vietnam nach Berlin. Dem Geschäftsmann und Politiker wurden in seiner Heimat diverse Wirtschaftsdelikte vorgeworfen. Seiner Anwältin zufolge dienten diese lediglich zur Beseitigung von Trinh Xuan Thanh im Rahmen von politischen Reformen der Kommunistischen Partei Vietnams.

Trinh Xuan Thanh beantragte in Deutschland politisches Asyl, weil er die Verhängung der Todesstrafe fürchtete. Nachdem ein Auslieferungsgesuch seitens Vietnam gescheitert war, muss laut Schlagenhauf der Entschluss gefallen sein, den Gesuchten zu entführen. Es sei davon auszugehen, dass dieser Beschluss direkt von der politischen Führung des Landes kam.

Was geschah am 23. Juli 2017 in Berlin?

Trinh Xuan Thanh bewegte sich in Deutschland eigentlich sehr vorsichtig und achtete stets darauf, nicht entdeckt zu werden. Dennoch leistete er sich einen großen Fehler: Er hielt eine jahrelange außereheliche Beziehung aufrecht. Diese war dem vietnamesischen Geheimdienst bekannt. Die Beschattung der Geliebten hatte schließlich Erfolg, denn bei einem Besuch in Berlin führte sie den Geheimdienst unwissentlich zu Trinh Xuan Thanh.

Am 23. Juli 2017 erfolgte der Zugriff im Berliner Tiergarten während eines Spaziergangs mit seiner kurz zuvor eingetroffenen Geliebten. In einem raschen Zugriff wurden Trinh Xuan Thanh und seine Freundin in einen Transporter gezerrt. Der Gewaltaufwand war enorm, die Freundin erlitt dabei einen Armbruch. Anwältin Schlagenhauf schätzt, dass seitens der Entführer mindestens fünf Personen direkt an der Aktion teilnahmen. An der gesamten Operation waren weit mehr Personen involviert.

Großer Tiergarten in Berlin [KK nationsonline, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons]

Vermutlich unter Druck gesetzt reiste die Geliebte kurz darauf zurück nach Vietnam. Ihr weiterer Verbleib ist ungeklärt. Die Rückreise für Trinh Xuan Thanh gestaltete sich komplizierter. Da dessen Reisepass abgelaufen war, entfiel die Möglichkeit einer Rückführung durch einen regulären Linienflug. Schließlich diente ein eventuell nur für diesen Zweck initiierter Besuch des vietnamesischen Innenministers in der Slowakei. Dabei kam für die Rückführung von Trinh Xuan Thanh nach Vietnam eine ausgeliehene slowakische Regierungsmaschine zum Einsatz.

Nach Darstellung der vietnamesischen Presse vollzog sich die Rückkehr freiwillig. In einer Presseerklärung gab Trinh Xuan Thanh an, sich auf Druck von Verwandten den Vorwürfen stellen zu wollen. Sowohl Rechtsanwältin Schlagenhauf als auch Journalistin Mai gehen davon aus, dass diese Erklärung unter Druck abgegeben wurde.

Ermittlung deutscher Behörden deckt Hintermänner auf

Das Geschehen im Tiergarten war nicht unbeobachtet geblieben. Fünf Personen bemerkten die Entführung und meldeten diese an die Polizei. Das dabei notierte KFZ-Kennzeichen führte zu einem Autoverleih in Prag. Erstaunlicherweise hatten die Entführer das Kennzeichen vor der Aktion nicht ausgetauscht. Mithilfe der von dem Vermieter zur Verfügung gestellten GPS-Daten der Fahrzeuge war es anschließend möglich, die Hotels des Entführungskommandos zu ermitteln.

Die Entführer müssen sich sehr sicher gefühlt haben. Wie sich herausstellte, hatten diese in den Hotels unter ihren realen Identitäten eingecheckt. Auf Überwachungsvideos ließen sich so leicht mehrere der involvierten Personen identifizieren. Mindestens eine Person konnte klar dem vietnamesischen Geheimdienst zugeordnet werden. Die Tatsache, dass es sich dabei um eine Führungspersönlichkeit des vietnamesischen Geheimdienstes handelte, zeigt, welche Bedeutung der Operation beigemessen wurde.

Die Ermittlungsergebnisse führten bisher zu einem Prozess gegen einen Entführungshelfer. Dieser endete mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Beteiligung an einer Entführung. Eine weitere Klage gegen einen Entführungshelfer, der gegenwärtig in U-Haft sitzt, ist in Vorbereitung.

Der nach dem Entführungsfall unter anderem durch Sanktionen aufgebaute Druck auf Vietnam führte nicht wie erhofft zur Freilassung Trinh Xuan Thanh. Mittlerweile sind viele Sanktionen auf Druck der deutschen Wirtschaft zurückgenommen worden. Laut Anwältin Schlagenhauf ist die weitere Perspektive für Trinh Xuan Thanh völlig unklar.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 04.08.2022