Agenten und Spione in Romanen oder Filmen haben wahrscheinlich mehr für das öffentliche Image von Geheimdiensten getan als ihre realen Vorbilder. Oft entsprechen die fiktionalen Spione klassischen Klischees als waghalsige, frauenverführende und weltrettende Superagenten im Sinne eines James Bond.
Eine bedeutende Ausnahme bildet in dieser Hinsicht der fiktionale MI6-Agent George Smiley: unsportlich und unglücklich verheiratet – ein klassischer Antiheld. Sein Schöpfer John le Carré wusste aus seiner eigenen Vergangenheit als Spion, dass Smiley eher der Realität entsprach als seine fiktionalen Agentenkollegen.
Trotz dieser Abkehr von genretypischen Standards oder vielleicht gerade deswegen avancierte le Carré zum erfolgreichsten Autor von Spionageromanen der vergangenen Jahrzehnte. Am 12. Dezember 2020 ist le Carré im Alter von 89 Jahren verstorben.
Der am 19. Oktober 1931 in der englischen Küstenstadt Poole als David John Moore Cornwell geborene le Carré hatte eine unglückliche Kindheit und Jugend: Früh ließ ihn seine Mutter mit einem Vater zurück, der aufgrund seiner kriminellen Aktivitäten immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kam.
Ab 1948 studierte le Carré Germanistik und Neue Sprachen im schweizerischen Bern und anschließend in Oxford. Erste Berufserfahrung mit Geheimdiensten macht er ab 1950 in Österreich. Seine Aufgabe bestand darin, für den britischen Geheimdienst Flüchtlinge aus Osteuropa zu befragen.
Auch in Oxford blieb der Kontakt zum Geheimdienst bestehen: Für den Inlandsgeheimdienst MI5 bewegt le Carré sich dort in der linken Szene. Dort sammelte er Informationen über Personen, die als sowjetische Spione verdächtigt wurden.
Nach dem Studium lehrte le Carré zuerst Französisch und Deutsch am renommierten Eton College. Doch die Welt der Geheimagenten schien ihn nicht mehr loszulassen. 1958 wurde er hauptberuflicher MI5-Mitarbeiter. Aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse wechselte er 1960 zum britischen Auslandsnachrichtendienst MI6.
Unter dem Deckmantel eines Zweiten Sekretärs arbeitete er zuerst an der britischen Botschaft in Bonn. Anschließend wurde er getarnt als politischer Konsul in Hamburg eingesetzt. Er erlebte die Zeit des Mauerbaus und der Hochzeit des Kalten Krieges in Deutschland. In dieser Zeit schrieb und publizierte er seinen ersten Spionageroman „Call for the Dead“ (dt.: „Schatten von gestern“). Nur ein Jahr später folgte „A Murder of Quality“ (dt.: „Ein Mord erster Klasse“). In beiden Romanen tauchte auch schon sein langjähriger Held auf: Agent George Smiley.
Bereits seine ersten beiden Bücher publizierte der Autor unter dem Pseudonym John le Carré, dem er sein Leben lang treu bleibt. Die Veröffentlichung unter einem Pseudonym hatte seinen Ursprung darin, dass es Beamten des Auswärtigen Amtes – le Carrés Tarnung als MI6-Agent – verboten war, unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen. 1963 landete er mit „The Spy Who Came In From The Cold“ (dt.: „Der Spion, der aus der Kälte kam“) einen Welterfolg. Danach konnte er es sich leisten, seinen Geheimdienst-Job 1964 zu quittieren und nur noch als Autor zu arbeiten.
Lange widmeten sich seine Bücher ausschließlich dem Kalten Krieg. Später öffnete sich le Carré literarisch und setzte sich mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander. In „A Perfect Spy“ (dt.: „Ein blendender Spion“) beschäftogte er sich mit der schwierigen Beziehung zu seinem kriminellen Vater .
Le Carrés Bücher wurden millionenfach verkauft und oft zudem erfolgreich verfilmt. „The Spy Who Came In From The Cold“ (1965), „The Russia House” (dt.: „Das Russlandhaus“, 1990) und „Tinker Tailor Soldier Spy“ (dt.: „Dame, König, As, Spion“, 2011)“ entwickelten sich an den Kinokassen zu großen Erfolgen.
Vielfach erhielt le Carré Auszeichnungen für sein schriftstellerisches Werk. 2020 erst wurde ihm der mit 100.000 $ dotierten, schwedischen Olof-Palme-Preis verliehen. Laut dem Urteil der Jury erhielt le Carré diesen „für seine engagierte und humanistische Meinungsbildung in literarischer Form in Bezug auf die Freiheit des Einzelnen und die Schicksalsfragen der Menschheit“. Besser lässt sich das Vermächtnis des Schriftstellers John le Carré kaum auf den Punkt bringen.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 14.12.2020