Rückblick: 40 Jahre Oktoberfestattentat – Einzeltäter oder rechtes Terrornetzwerk?

Manche Ereignisse lassen einen nicht mehr los – so erging es dem Journalisten Ulrich Chaussy im Hinblick auf das Oktoberfestattentat im Jahr 1980 und die seiner Ansicht nach völlig unzureichenden Ermittlungsergebnisse.

Versagen der Ermittler aufgedeckt

Seine jahrelange detaillierte Spurensuche deckte ein zum Teil eklatantes Versagen der Ermittler und der juristischen Aufarbeitung auf. Die Erkenntnisse veröffentlichte Chaussy in dem Buch „Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden“.

Wie aktuell die Themen Rechtsterrorismus und Antisemitismus auch gegenwärtig noch sind, zeigte sich in einer Podiumsdiskussion des Autors mit dem ehemaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler unter der Leitung des Historikers Helmut Müller-Enbergs am 29. September 2020 im Deutschen Spionagemuseum.

Einzeltäterthese zum Oktoberfestattentat lässt sich nicht halten

Gundolf Köhler legt die Bombe von München und soll die Tat laut den Ermittlern allein geplant und ausgeführt haben. Chaussy Nachforschungen widersprechen diesen Ergebnissen.

Er geht nicht davon aus, dass es sich bei Köhlers Tat im Grunde nur um einen erweiterten Selbstmord eines unglücklichen und isolierten Einzelgängers ohne politischen Hintergrund gehandelt habe. Vielmehr sei der rechtsextreme Hintergrund des Täters schon damals klar zu erkennen gewesen, so Chaussy. Köhler war unter anderem Mitglied der neonazistischen terroristischen Vereinigung Wehrsportgruppe Hoffmann, die 1980 verboten wurde.

Die Liste der Mängel, die zu den falschen Ermittlungsergebnissen führten ist lang. Chaussy arbeitet sie in seiner Publikation minutiös auf: Beweise verschwanden, Arbeiten am Tatort wurden schlampig ausgeführt, die Hintergrundrecherchen zu den Personen erwies sich als lückenhaft. Zu schnell habe man den zweifelhaften Aussagen von Kronzeugen glauben wollen. Anderen Spuren dagegen sei man nicht vollständig nachgegangen.

Mysteriöser Fund einer abgetrennten Hand

Besonders frappierend sei der Fund einer abgetrennten Hand in der Nähe des Tatorts, die Köhler zugeordnet wurde. Dies sei eigentlich schon nach damaligen Erkenntnissen nicht möglich gewesen. Auch zu keinem der Opfer passte die Hand. Ob es allerdings die Hand eines Mittäters war, lässt sich nicht klären, da das Beweisstück mittlerweile verloren gegangen sei.

Chaussy ist sich nach seiner jahrelangen Recherche sicher, dass Köhler nicht allein gehandelt hat. Die Identität der Mittäter allerdings bleibt bis heute im Ungewissen. Diese lasse sich wohl aufgrund der Vernichtung von Beweismaterial nicht mehr auflösen. Dazu gehören unter anderem heute auswertbare DNA-Spuren.

Chaussy will mit seinem Buch nicht nur die Vergangenheit aufarbeiten, sondern zu einem grundsätzlichen Umdenken beitragen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen warnt der Autor davor, im Kontext von rechtsextremistischen Terrorakten zu rasch dem Einzeltätermythos zu verfallen. Stattdessen gelte es, den Blick nach Netzwerken offen zu halten und diese aufzudecken.

Forderung nach genereller Revision der deutschen Terrorabwehr

Im Hinblick auf die Versäumnisse von Polizei und Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus gab der ehemalige BND-Präsident Schindler zu, dass offensichtlich Fehler gemacht wurden. Allerdings reiche dies seiner Ansicht nach nicht aus, von grundlegenden Problemen bei deutschen Sicherheitsbehörden zu sprechen.

Eine Einflussnahme von politischer Seite auf die Arbeit der Geheimdienst etwa, wie sie zuweilen als Vorwurf geäußert wurde, verneinte er für den BND kategorisch.

Gleichwohl hielt Schindler fest, dass angesichts der destruktiven internationalen Krisenentwicklungen eine generelle Revision der deutschen Sicherheitsstruktur sinnvoll erscheine. So ergebe sich eine Chance, auf Dauer den Anforderungen der Zukunft effizient begegnen zu können. Es gäbe derzeit zu viele Behörden und Zuständigkeiten, aber während Fische und Vögel durchaus zu Schwarmintelligenz in der Lage seien, treffe dies für den Menschen nicht zu.

Der Föderalismus erweise sich hier oft als Hemmschuh. Zudem fehle laut Schindler oft die Gesamtschau: Es werde nur geprüft, wie die einzelne Behörde besser arbeiten könne. Sinnvoller wäre es, vermehrt das Augenmerk darauf zu legen, wie die verschiedenen Sicherheitsbehörden untereinander operieren können.

Neue Ansätze für deutsche Geheimdienste

Im Rahmen einer solchen Revision befürwortete Schindler auch einen Wechsel der Ressortzugehörigkeit des BND: Er hält eine Zuordnung des BND zu einem Ministerium für sinnvoller als die bisherige Unterordnung zum Bundeskanzleramt.

Denkbar wären sowohl das Auswärtige Amt als auch das Verteidigungsministerium. Er persönlich präferiere diesbezüglich das Verteidigungsministerium, da mit der Bundeswehr bereits bewährte Kontakte und Kooperationen mit dem BND beständen.

Einen weiteren grundlegenden Neuansatz empfiehlt Schindler hinsichtlich der Terrorabwehr. Da gegenwärtig die Grenzen zwischen In- und Auslandsterrorismus stetig weiter verschwimmen, erscheine ihm die Zusammenlegung der Terrorabwehr als die sinnvollere Methode als die bisherige strikte Trennung zwischen Verfassungsschutz (Inland) und BND (Ausland).

Da es undenkbar erscheine, dass der BND inländische Aktivitäten unternehme, wäre dabei im Grunde nur eine Zusammenlegung der Terrorabwehr in den Händen des Verfassungsschutzes realistisch.


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Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 30.09.2020