Rückblick: Ausgefragte Flüchtlinge – Was machten westliche Dienste im Notaufnahmelager?

Flüchtlingswellen gab es in der deutschen Geschichte immer wieder. In Notaufnahmelagern wurden die Ankommenden im Kalten Krieg nicht nur sozial versorgt, sondern es begann auch umgehend ein erstes nachrichtendienstliches Screening durch deutsche und ausländische Geheimdienste.

In seinem neuen Buch „Interrogation Nation“ untersuchte der Historiker Keith R. Allen im Detail, was in Gießen und Berlin-Marienfelde während der deutschen Teilung in den größten Anlaufstellen für DDR-Flüchtlinge in Westberlin und der Bundesrepublik geschah. Nach welchen Informationen fahndeten die Geheimdienste? Wie gingen die Befragungen vonstatten?

Buchvorstellung im Deutschen Spionagemuseum

Am 07. Dezember 2017 stellte Allen sein Buch im Deutschen Spionagemuseum vor. Dabei ging er vor allem auf einen Aspekt ein: die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW). Dabei handelte es sich um eine dem Bundesnachrichtendienst (BND) zugeordnete Dienststelle. Kurzweilig schilderte er in seinem einleitenden Vortrag, wo die Ursprünge der Institution lagen und wie sich die Arbeit im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neuen Verhältnissen anpassen musste.

Tatsächlich fußt die HBW auf einem britischen System aus dem Zweiten Weltkrieg, bei dem es um Informationsgewinnung aus Befragungen von deutschen Kriegsgefangenen ging. Zur allgemeinen Überraschung tauchte dabei auch James Bond-Autor Ian Flemming auf. Dieser berichtete den amerikanischen Kollegen auf einer Dienstreise in die USA vom Nutzen des Systems. Die anglo-amerikanisch inspirierten Ansätze der Sicherheitsüberwachung führten schließlich zur Gründung der HBW unter BND-Regie.

Zäsuren für Geheimdienste im Kalten Krieg

Entscheidend wirkte sich das Versiegen des großen Flüchtlingsstroms von Ost nach West nach dem Mauerbau 1961 ebenso massiv auf die auf die Arbeit der HBW hinsichtlich Vorgehensweise und Auswahl der Quellen aus, wie das Ende der DDR 1990. Die HBW war ein Produkt des Kalten Krieges und das Hauptaugenmerk lag lange Zeit dementsprechend auf den Flüchtlingen aus dem Ostblock. Dennoch endete die Arbeit keineswegs mit dem Auseinanderfallen des Warschauer Paktes. Der Focus verlagerte sich in der Folge vielmehr auf andere Personengruppen. Erst 2014 wurde die HBW schließlich aufgelöst.

Im Gespräch mit dem Historiker Florian Schimikowski und im Austausch mit dem interessierten Publikum wurde klar, dass die Arbeit der Geheimdienste bei der Befragung von Flüchtlingen sich zu vielschichtig gestaltete, um an einem Abend erschöpfend besprochen werden zu können. Spannende Details kamen dennoch zahlreich zur Sprache.

Dazu gehörten unter anderem der naheliegende Vergleich mit dem Prozedere von Rückkehrern und Einwanderern in der DDR. Hier gestalteten sich die Methoden der Informationsabschöpfung und Instrumentalisierung deutlich brutaler als im Westen, wo eine Zusammenarbeit mit der HBW auf freiwilliger Basis geschah (auch wenn dies den Beteiligten nicht immer klar war).

Auch aktuellere Bezüge zum Thema kamen auf. Hervorzuheben ist das Beispiel der Quelle „Curveball“, die 1999 mit Falschinformationen als Anlass für den Irak-Krieg herhalten musste, wurden beleuchtet. Über die Abschöpfung von Informationen hinsichtlich der aktuellen Flüchtlingswellen ließ sich nur spekulieren. Das Deutsche Spionagemuseum wird dieses Thema weiter im Auge behalten.


Auch die nächste Veranstaltung am 12. Dezember 2017 im Deutschen Spionagemuseum widmet sich einem Thema, das an Aktualität nichts eingebüßt hat. Dr. Walter Katzung und Dr. Heinrich Wille beschäftigen sich mit dem Einsatz von Gift durch Geheimdienste. Der Eintritt ist wie immer frei.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 12.12.2017