Rezension: „Der Zoo der Anderen“ – tierische Geschichte als Spiegelbild des Kalten Kriegs

Oft richten sich lokalgeschichtliche Bücher nur an eine begrenzte Leserschaft, die sich für ein kleinteiliges Thema interessiert. Manchmal aber ermöglichen Detailbetrachtungen eines Spezialthemas einen Einstieg in größere geschichtliche Zusammenhänge.

Genau das ist dem Journalist Jan Mohnhaupt mit seinem Buch „Der Zoo der Anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete“ gelungen. Wir haben uns das Buch vor allem in Hinblick auf die Darstellung der Geheimdienste angeschaut.

Symbolischen Stellvertreterkampf im Kalten Krieg

Die Handlung dreht sich um die Geschichte der beiden Berliner Zoos, dem Zoologischen Garten und dem Tierpark Berlin, angefangen vom Zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer. Aber der Blick weitet sich regelmäßig sowohl auf andere west- und ostdeutsche Zoos als auch auf Einzelschicksale und wird dadurch auf allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen gelenkt.

Hauptakteure sind die beiden langjährigen Direktoren, Heinz-Georg Lös im Berliner Zoo und Heinrich Dathe im Ostberliner Tierpark. Deren Konkurrenz im geteilten Berlin wird zu einem „symbolischen Stellvertreterkampf, in dem die beiden Einrichtungen sinnbildlich für das jeweilige System stehen.“

Von vorne herein ist der Tierpark im Osten auch ein politisches Projekt. Er soll die Leute in der DDR halten und die Westkontakte reduzieren. Es entwickelt sich ein „Wettrüsten“ der besonderen Art: Eröffnet Klös 1962 ein innovatives neues Vogelhaus, folgt Dathe 1963 mit einem gewaltigen Raubtierhaus. So geht es über Jahrzehnte weiter.

Der Tierpark entwickelt sich zu einem derartigen Prestige-Projekt, dass die Stasi die zahlreichen „Kontakte ins Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ zwar zur Kenntnis nimmt, aber duldet. Und das, obwohl beispielsweise Tierpfleger auf abenteuerliche Weise Tiertransporte nutzen, um sich in den Westen abzusetzen. Zude finden dubiose Tauschgeschäfte von „kommunistischen Tigern“ gegen „kapitalistische Bergtapire“ statt.

Stasi als Aufbauhelfer des Bärengeheges

Neben der Einschleusung mehrerer Inoffizieller Mitarbeiter (IMs), welche die Vorgänge im Auge behalten sollen, lässt es sich die Stasi nicht nehmen, an dem Aufbau des Tierparks mitzuwirken. Ziel ist es, das eigene Image aufzuwerten. Offensichtlich entwickelt der Geheimdienst ein Faible für Bären. Das Wachregiment Berlin des MfS stellt in den Anfangstagen zwei Brillenbären. Und an der Bärenschlucht verkündet eine Plakette, dass eine Spende der Mitarbeiter des MfS den Bau ermöglichte.

US-Propaganda mit Weißkopfseeadler „Willy Brandt“

Auch der Zoologische Garten in Westberlin wird von der hohen Politik instrumentalisiert. US-Justizminister Robert Kennedy schenkt symbolisch das amerikanische Wappentier, einen Weißkopfseeadler, der den Namen „Willy Brandt“ erhält. Die Ostpresse kommentiert das süffisant mit Schlagzeilen wie „Willy Brandt sitzt hinter Gittern“.

Symbolkraft haben zudem die Pandas, ein Staatsgeschenk der chinesischen Regierung an Kanzler Helmut Schmidt. Nach dem Tod der Panda-Dame „Tjen Tjen“ brodelte die Gerüchteküche: Angeblich habe der KGB seine Finger im Spiel gehabt, um dieses Symbol der deutsch-chinesischen Freundschaft zu eliminieren.

„Der Zoo der Anderen“ bietet zahlreiche weitere, zum Teil recht bizarre Versuche von Politik und Geheimdiensten, beide Zoos für ihre Zwecke zu nutzen. Die politische Situation im Kalten Krieg wird hier auf unterhaltsame Art und Weise widergespiegelt.

Einzelschicksale auf beiden Seiten des Eiserne Vorhangs

Neben der Entwicklung und Instrumentalisierung der beiden Zoos vermitteln vor allem die Einzelschicksale, die immer wieder mit der Handlung verknüpft sind, einen Eindruck von der Lebensrealität im Kalten Krieg. Dazu gehört zum Beispiel das Prozedere im Notaufnahmelager Marienfelde (West-Berlin) sowie die Infiltration der Anlage durch Geheimdienste von beiden Seiten.

Das Bewusstsein der ständigen Überwachung wird auch deutlich, wenn der technikbegeisterte Sohn Dathes ganz selbstverständlich die heimischen Räume nach Wanzen absucht, sodass sich der Vater dort ohne Bedenken mit West-Gästen unterhalten kann.

Die Titelwahl „Der Zoo der Anderen“ ist nicht umsonst an den berühmten Film „Das Leben der Anderen“ angelehnt. Das Buch bietet einen vielschichtigen Einblick in die unterschiedlichen Lebenswelten des geteilten Berlin und darüber hinaus. Sei es Zoogeschichte, Gesellschaftsgeschichte oder Aspekte der Geheimdienstgeschichte – dieses Buch dürfte zahlreiche interessierte Leser finden.


Bilder
Cover “Der Zoo der Anderen”: Carl Hanser Verlag, München 2017
Eröffnung Tierpark Berlin 1955: Bundesarchiv, Bild 183-31492-0004, CC-BY-SA 3.0
Elefantentor Zoologischer Garten Berlin: By Manamanah von flickr.com, CC BY 2.0

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 27.07.2017