Der große Spionageskandal: Am 15. Oktober 1894 wurde Alfred Dreyfus verhaftet

Manchmal sind es die ganz kleinen Spione, welche die ganz großen Skandale auslösen. Marie Bastian, die als Putzfrau in der deutschen Botschaft in Paris arbeitet und gleichzeitig für den französischen Geheimdienst spionierte, fand dort am 25. September 1894 ein zerrissenes Blatt Papier in einem Mülleimer.

Nach einiger Puzzlearbeit stellte der französische Geheimdienst fest, dass es sich um eine Auflistung von geheimen Dokumenten handelte, die ein französischer Offizier dem deutschen Geheimdienst übergeben hatte. Diese Entdeckung sollte der Auftakt zu einem der ersten großen Spionageskandale in der europäischen Geschichte sein.

Fehlerhafte Handschriftenanalyse

Aufgrund der Analyse Handschrift und der erwähnten Geheimdokumente ließ sich der Kreis der Verdächtigen rasch einengen. Vorschnell einigten sich die Ermittler auf den Hauptmann Albert Dreyfus als Hauptverdächtigen. Dreyfus hatte als einzige Jude im Generalstab schon zuvor mit mangelnder Akzeptanz seitens seiner Offizierskollegen zu kämpfen.

Obgleich es nicht nur in der Heeresleitung, sondern auch seitens der Politik Bedenken gab, gegen Dreyfus aufgrund von Mutmaßungen und ohne sichere Beweise vorzugehen, wurde er am 15. Oktober 1894 verhaftet. Die folgende Festnahme wegen Landesverrat begründete sich letztlich nur auf Ähnlichkeiten der Handschrift.

Die Tatsache, dass in dem Schreiben eine Teilnahme an einem Manöver genannt wurde, an dem Dreyfus nie teilgenommen hatte wurden ignoriert. Außerdem hatte er nie Zugang zu den genannten Dokumenten. Auch ein Motiv war bei Dreyfus nicht auszumachen.

Der fatale Druck der Presse

Schnell gelangte die Nachricht von der Festnahme an die Presse und drängte die Ankläger in eine schwierige Lage. Sowohl eine Freilassung des Beschuldigten als auch das Scheitern der Anklage hätte sie öffentlich in Misskredit gebracht – entweder, weil man es an Härte fehlen ließ, oder weil man leichtfertig einen Offizier beschuldigt hatte.

Der zunehmend scharfe Ton der Presse sorgte dafür, dass rasch aus den dünnen Indizien eine wackelige Anlage zusammengestellt. Diese garnierte man noch mit Hinweisen auf eine vermeintliche Homosexualität von Dreyfus. Sämtliche entlastende Punkte wurden dem Gericht vorenthalten. Dazu gehörten unter anderem zwei aussagekräftige handschriftliche Analysen.

Auf dieser Grundlage wurde Albert Dreyfus am 22. Dezember 1894 unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu lebenslanger Haft in Verbannung verurteilt. Zudem wurde er auf entwürdigende Weise öffentlich degradiert.

Wende während der Isolationshaft

Dreyfus verbrachte die Jahre 1895 bis 1899 in Isolationshaft auf der Teufelsinsel verbrachte, die fast hundert Jahre als französische Strafkolonie diente. Seine Familie setzte alles daran, dass der Prozess wieder aufgenommen wurde. Außerdem stellte der französische Geheimdienst fest, dass der deutsche Geheimdienst immer noch Material durch einen französischen Offizier erhielt. Als dieser entpuppte sich der Major Ferdinand Walsin-Esterházy.

Der Generalsstab allerdings versuchte, diese Wendung im Spionagefall zu vertuschen, um das eigene Ansehen nicht zu belasten. Er verbot eine Veröffentlichung der neuen Ergebnisse. Im Laufe der Zeit allerdings häuften sich die Hinweise auf die Unrechtmäßigkeit des Prozesses. Der Fall Dreyfus fand immer mehr prominente Unterstützer.

Trotz verschiedener Versuche, die Familie Dreyfus zu diffamieren und der Fälschung neuer „Beweismittel“, spaltete der Fall die französische Öffentlichkeit. Maßgeblichen Anteil daran hatte die Veröffentlichung des Briefes „J’accuse…!“ (Ich klage an …!) des französischen Schriftstellers Émile Zola über die wahren Hintergründe der Dreyfus-Affäre. Nun war der Skandal perfekt, es kam zu Ausschreitungen und Unruhen.

Der Schuldige wurde nie verurteilt

Das alles führte nicht dazu, den Widerstand der Verantwortlichen zu brechen. Aus Angst vor persönlichen Konsequenzen scheuten diese keine Mühen, die Wahrheit weiterhin zu vertuschen. Es sollte noch mehrere Schauprozesse gegen Dreyfus-Befürworter dauern, bis Dreyfus durch eine neue Regierung am 19. September 1899 endlich begnadigt wurde.

Erst 1902 allerdings kam es zum Revisionsverfahren, in dem er 1906 vollständig rehabilitiert wurde. Daraufhin erfolgte auch seine Wiederaufnahme beim Militär. Der eigentlich Schuldige Ferdinand Walsin-Esterhazy allerdings wurde 1899 lediglich unehrenhaft aus der Armee entlassen. Ein Amnestiegesetz hatte dafür gesorgt, dass die im Prozess begangenen Rechtsbrüche ungesühnt blieben.

Die Dreyfus-Affäre machte deutlich, wie ein Spionageskandal zur Bewährungsprobe für Politik und Gesellschaft eines ganzen Landes werden kann.


Bilder
Albert Dreyfus (Titelbild): Public Domain
Das zusammengeklebte Dokument: French National Archives
Die Degradierung von Albert Dreyfus: Bibliothèque nationale de France

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 15.10.2018