Das Geschäft mit der Gesichtserkennung

In den letzten Wochen und Monaten lieferte das Thema „Gesichtserkennung“ immer wieder Stoff für kontroverse Diskussionen unter Experten. Insbesondere die kommerziellen Einsatzgebiete von entsprechender Software geraten zunehmend stärker in den Fokus.

Politisches Handeln ist erforderlich

Die Themen Gesichtserkennung und Videoüberwachung sind derzeit Nischenthemen in der Presselandschaft. Höchstens zu brisanten Anlässen wie dem G20 Gipfel oder bei Millionenprojekten wie dem Bahnhof Südkreuz in Berlin schafft es das Thema in die Tagespresse.

Doch die Implikationen von Gesichtserkennung für politisches Handeln sind gewaltig. Das beweist ein Fall aus Russland: Regierungskritische Demonstranten werden mit Hilfe einer frei verfügbaren App im Netz gebrandmarkt – und können sich gegen Geld freikaufen.

Der aktuellste Fall im kommerziellen Sektor war wohl die Supermarktkette Real, deren Kunden im Kassenbereich von Kameras aufgezeichnet wurden. Nicht zum Zwecke der Diebstahlsicherung wohlgemerkt. Das Kamerasystem wurde in einem Testlauf in einzelnen Läden installiert und sollte die Reaktionen der Kunden auf Werbespots messen.

So weit, so erschreckend – und gleichzeitig lehrreich: Das von nahezu allen Medien in der Überschrift genutzte Schlagwort „Gesichtserkennung“ ist doch schon längst ein alter Hut. Jede handelsübliche Kamera verfügt heute über ein System, mit dem Gesichter erkannt und fokussiert werden. Facebook findet in Fotos zielgenau die Gesichter und erwartet von uns, die Personen auf diesen zu identifizieren.

Problemfeld „Facial analysis“ 

Eigentlich geht es in der aktuellen Diskussion nicht um Gesichtserkennung Es geht vielmehr um das, was der Künstler und Technik-Spezialist Adam Harvey bei seinem Vortrag im Deutschen Spionagemuseum als „Facial analysis“ bezeichnete: Die kleinteilige Analyse verschiedener Gesichtsmerkmale und ihre Veränderung.

Aus den hieraus gewonnenen Daten leiten Unternehmen sodann die unterschiedlichsten und bisweilen abstrusesten Schlüsse ab. Jemand mit Vollbart muss beispielsweise ein Hipster sein. Die Gegend, in der er sich aufhält, ist selbstverständlich auch hip und trendy. Deswegen wird dieser Ort als besonders interessant beworben.

All das lässt sich heutzutage aus einem einfachen Selfie ablesen. Der Bart zentral im Bild, das Foto mit GPS-Koordinaten in den Metadaten getaggt – schon hat man die Empfehlung für das nächste Hipster-Café. Doch andere Unternehmen sehen den Vollbart vielleicht eher als ein Merkmal einer gefährlichen Person. Hier wird schnell die Kategorie Islamist oder gar Terrorist in den Ring geworfen. So weit, so interpretationsfähig.

Datenschutz im Alltag möglich?

Für die Supermarktkette Real sollen bei der erwähnten Kundenerfassung Merkmale wie Alter und Geschlecht dazu dienen, zielgerichteter Werbung auf entsprechende Bildschirme zu bringen. Wie ein solches Verfahren im Detail aussehen könnte, lies sich durch einen technischen Fehler in einer Osloer Pizzeria bestaunen. Dort stürzte das System ab und zeigte statt Werbung Details der genutzten Software.

Daraus wurde deutlich, dass das Programm auch die Mimik extrem detailliert berücksichtigt. Je nach Intensität des Lächelns wird ein bestimmter Wert vergeben, wodurch sich unter Umständen die Werbeeinblendung entsprechend verändert. Ein Unternehmenssprecher gab zudem unumwunden zu, dass Frauen dadurch Werbung für Salat und Männern für Fleischgerichte präsentiert bekommen.

Für die Entwickler dieser Software wie auch für die Unternehmen, die sie nutzen, ist Konformität mit geltenden Datenschutzrichtlinien oberste Priorität. Sie alle betonen, dass keine Aufnahme für länger als einige Millisekunden gespeichert wird. Danach wird sie gelöscht und es bleiben nur die Metadaten übrig, die weiter verwendet werden.

Gesichsterkennungssoftware für den digitalen Pranger

Ganz im Gegensatz dazu steht der aktuelle Fall aus Russland. Im Juni demonstrierten Anhänger des Regierungskritikers Alexey Navalny gegen die Politik des Kreml. Das Nachrichtenportal meduza.io berichtet nun, dass eine anonym betriebene Webseite namens „Je Suis Maidan“ Fotos von Demonstranten mit ihrem Profil im sozialen Netzwerk Vkontakte verknüpft.

In einer Zeit, in der Teilnehmer an nicht genehmigten Demonstrationen in Russland mit heftigen Konsequenzen rechnen müssen, werden also Menschen an den digitalen Pranger gestellt. Und das ganze ohne den Einsatz spezieller Geheimdienst-Technik.

Die Seite nutzt dazu die frei verfügbare App „FindFace“. Im vergangenen Jahr sorgte die App auf Grund fragwürdiger Marketingkampagnen für Aufregung.

Der Hersteller bewarb sein Produkt unter anderem mit der Geschichte, man könne von einer hübschen Frau in der Disco ein Foto machen, die App nutzten und so in kurzer Zeit alle Informationen von ihrem Vkontakte-Profil einsehen. Damit habe man natürlich einen gewaltigen Informationsvorsprung im Balzgehabe. Anstatt nun eine hübsche Frau als Bildquelle zu nutzen, verwendet Je Suis Maidan öffentlich zugängliche Fotos der Demonstration. Diese gleicht er mittels „FindFace“ mit der Datenbank von Vkontakte ab. Die Aussage ist in beiden Fällen sehr deutlich: Niemand kann sich mehr auf die eigene Anonymität verlassen.

Es sei denn man kauft sich seine Anonymität zurück – mit einem Premium-Account von „FindFace“ lässt sich verhindern, dass das eigene Vkontakte-Profil über die App gefunden wird.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Facebook-Nutzer müssen sich diesbezüglich wohl noch keine Sorgen machen. Die App funktioniert ausschließlich mit Vkontakte.

Autor: Christoph Ewering

Veröffentlicht am: 12.07.2017